Unsere Gewinner*innen im Oktober 2021

Wettbewerb im Oktober 2021

Wir bedanken uns für all eure Einsendungen im Oktober! In diesem Monat ging es bei lyrix um Mehrsprachigkeit, ausgehend von dem Gedicht „çatodas“der Lyrikerin Dagmara Kraus. Wie ist es, mit mehreren Sprachen aufzuwachsen? Welche Geschichten stecken dahinter? Wer ist das, der versucht, darüber zu entscheiden, wie viele Sprachen zu viele sind? Und wie könnt ihr ihm/ihr etwas entgegnen? Das haben wir euch gefragt – und ganz unterschiedliche lyrische „Antworten“ erhalten, die uns und der Jury große Freude beim Lesen bereitet haben. Eure Gedichte erzählen davon, welche Emotionen und Assoziationen verschiedene Sprachen wecken können, wie man mit verschiedenen Sprachen bestimmte Menschen und Orte verbindet, dass einem mehrere Sprachen viel eröffnen, einen aber auch durcheinanderbringen können, bis man gefühlt gar keine Sprache mehr beherrscht. Wie wäre es, wenn einen Ort gäbe, an dem man alle Sprachen dieser Welt verstünde? „Gäbe es ein Land, in dem alle Sprachen gesprochen werden, / würde ich sofort ein Ticket buchen“.

In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, Merle Helene Berger, Anna Bleker, Lisa Hentschel, Thyra Kramer, Tonda Montasser und Amelia Schober! Ihr seid die Monatsgewinner*innen der Altersgruppe 10 – 14 im Oktober 2021!

Sag mir

Merle Helene Berger
2007

Sag mir Kind wo deine Fußspuren liegen,
wo die Wurzeln liegen, deines Angesichts,
wenn du Worte hörst, wie widerhallen sie?
welche Sprache führt dich, eingraviert?
wie liegen sie in dir, tief in dir?
lebe Zugehörigkeit!

Sag mir Kind, welches Spiel du spielst,
es ist das Spiel des Spiegels,
jeder Blick zeigt mich,
und ich frage,
wann finde ich sie?
die Wahrheit meines Selbst,
denn ich bin nicht eins, bin dreien zugehörig.

Sag mir Kind, versteckst du dich vor der Antwort,
da du weißt, dass drei Herzen in dir schlagen,
oh sag mir, findest du den Weg?
taumelst, da sie sagen, du musst dich entscheiden, 
steh nicht zwischen Flaggen!
Doch ich steh in ihrer Mitte.

Und nun sag mir Kind, wo du hingehörst,
ruft the wind across the waves?
trägt ta coeur l’hiver vers le nord?
gründe meine eignen Worte,
eine Sprache, die nur ich versteh,
und fragst du, wo ich hingehör,
hierher.

Sie zerstört

Anna Bleker
2007

Stimme eins,
Rau, einfühlsam, verleiht morgendlichem Tau Glanz,
Lässt mich lächeln, wieder, aufs Neue.
Erzählt von Fantasien, so leuchtende Augen.

Stimme zwei,
Kalt, bestimmt, ein Schauer, der den Rücken überkommt, 
Hypnotisiert mich, lässt mich Befehle ausführen, 
Spricht die pure Wahrheit, Schmerz,
Lässt Kinderaugen erlöschen, bedauert nicht.

Stimme drei, 
Weich, doch falsch, schmückt nicht die Augen,
Erzielt das Hineinsteigern des Selbst,
Zieht durch Mark, Bein, verringert den Magen, 
Verleumdet den Tod.

Drei Stimmen sind zu groß für deinen Mund,
Lass die dritte ziehen, 
Drei Stimmen, zu groß für die Muschel meines dritten Sinnes,
Lass die dritte ziehen, sie zerstört,
Nicht nur dich!

Zu viele Sprachen in einem Land

Lisa Hentschel
2009

Ich verstehe nur Bahnhof
Ich sehe aus dem Fenster
Das Wetter ist heute ein Grund,
um happy zu sein.
Ich packe Jackett und Laptop 
und gehe aus dem Haus.
Ich verstehe nur trainstation
Ich setzte mich in ein Café
was soll ich nur nehmen? –
Baguette, Crossaint 
oder meinen Favourite Mousse au chocolat?
Ich only understand trainstation
Endlich kommt der Kellner
und bringt Limonade und eine Orange
Ich sehe auf mein Handy
die News werden live übertragen
doch das ist mir egal
I only understand trainstation
Gäbe es ein Land, in dem alle Sprachen gesprochen werden,
würde ich sofort ein Ticket buchen

Der Fluss der drei Wörter

Thyra Kramer
2007

Aufgewachsen bin ich nur mit einem Wort,
mit nur einem Wort lebte ich an diesem Ort,
lebte in einem ruhigen Bach,
nur die deutsche Sprache hielt mich wach.

Alleine musste ich in den kalten Fluss springen,
denn das Glück mehrerer Wörter kann man nicht erzwingen,
füllte den ruhigen Bach mit neuen Eindrücken,
ihr Klang soll meine Stimme schmücken.

Doch jetzt hatte ich die schwere Eichenholztür der Sprachen aufgeschlossen,
die neuen unterschiedlichen Quellen kamen nur so herausgeflossen,
das einsame Wort nun von drei Großmächten umgeben,
hat ihren ehrlich blau schimmernden Segen.

Wie ein Fluss rauschend und zugleich sanft erklingend,
bestimmend sprechend und zugleich melodisch singend,
spiegeln auf ihrer Oberfläche Glück und zugleich Trauer,
ein ewiger Fluss und zugleich ein feiner Regenschauer.

Lassen Dich in ihren ineinander verwobenen Buchstaben verlaufen,
dennoch ist es unendlich schön in ihrem Klang zu ersaufen.

Dein Mund ist zu klein für drei Sprachen

Tonda Montasser
2011

Wegen deiner Naivität und deiner
Belächlung von allem. Dein Mund
ist zu schmal, um Aliens auszuspucken,
du Maustastaturgriff.
Dein Herz ist zu verschmutzt für ein
Terrassenmassakerkind.
Deine Seele besteht aus Breakdown Dances
und unkreativen Liedzeilen.

„My name is… Ha! My name is … Ha!“
Das machst du gerne, wenn du schläfst.
Gewaltbesessener Gaukler des Gangster-Raps.
Geh mir aus den Augen, du bist es nicht würdig,
alleine zu sein und keine drei Sprachen zu kennen.
„We come in peace!“, ergibt so wenig Sinn, wie du es tust.

Was sagst du da? Ich esse dich zum Abendbrot
wie der allmächtige Titan Kronos es getan hat.
Ich spuck dich aus in alle Himmelsrichtungen.
Hera! Hestia! Demeter! Hades! Poseidon!
Sie fallen runter und runter und werden
zu unbenutzten Sprachen des Untergrundes.

Alles wird nicht mehr sein wie es ist. Die Sprachsonde
der Erde wird erobert werden und Menschen wie du
von Aliens vernascht.
Nur die Untergrundsprachen werden überleben.
Wie Quallen, die hin- und herschwimmen,
und nie ganz getötet werden können. 

Sprachen, mein ganzes Leben lang

Amelia Schober
2007

Deutsch, Polnisch, Französisch, Englisch
Alle Sprachen, seit meiner Kindheit so engelsgleich, so magisch. 
Wie es mit Deutsch und Polnisch anfing,
die Worte, sie streiften meine Lippen, meine Gedanken, wie ein zarter Wind.
Oh, bist du aber begabt, sagte man mir dann als kleines Kind.
Da ich zwischen den języki so mühelos jonglieren konnte und alle mir sagten, wie stolz sie doch nur sind.
Mit sechs Jahren kam schließlich Sprache Nummer drei, Englisch.
Oh, ein kleines Mädchen, in den languages schon so weit, wie fantastisch.
So ging es weiter, mit meinen drei Sprachen, mit meinem guten Umgang mit Worten.
Doch was ist, wenn ich lieber gut wäre in Mathe, in Naturwissenschaften?
Oh, das ist doch nicht schlimm, dafür kannst du gut mit Sprachen.
Alles hätte so gut sein können, wenn Französisch nicht in der Schule drankäme.
Denn jetzt fehlen mir in jeder einzelnen langue die Worte, was sind die Ursachen?
Denn ich vergesse eine meiner Muttersprachen, ihr wisst nicht, wie ich mich schäme.
Weil Deutsch, Französisch und Englisch sich in den Vordergrund drängen,
sodass sie das Polnisch in meinem Kopf immer weiter in die Ecke einengen.
Denn vielleicht wollte ich das Wörterchaos nicht, sondern geregelte Tatsachen.
Oh, so schwer ist es auch wieder nicht, andere sprechen schon über fünf Sprachen.
Ich weiß, es sollte nicht schwer für mich sein, doch in meinem Kopf ist es ein einziges Gemisch.
Oh, jetzt sei doch nicht so undankbar, das ist doch ein unbezahlbares Geschenk.
Ich habe dir doch nur erzählt, dass sich in meinem Kopf alle vermischt.
Doch ich habe die Bürde eines platzenden Kopfes auf mich genommen,
denn ich liebe alle Sprachen, die aus meinem Mund kommen.

Schreibe, um zu träumen.