Unsere Gewinner*innen im November 2021

Wettbewerb im November 2021

Herzlichen Glückwunsch, Ruth Fink, Johanna Glowacki, Jana Götz, Gabriel Jakob Hoffmann, Tonda Montasser und Amelia Schober! Ihr seid die Monatsgewinner*innen der Altersgruppe 10 – 14 im November! Mit euren Gedichten zum Thema „Spiegelgesichter“ habt ihr die Jury überzeugt. Ausgehend von einem Text der Lyrikerin Sandra Burkhardt wart ihr aufgerufen, ein Gedicht über einen Blick in den Spiegel zu schreiben: Was macht es mit euch, wenn ihr euer Spiegelbild betrachtet oder ein Selfie von euch anschaut? In euren Gedichten habt ihr euch beim Blick in den Spiegel an euer zukünftiges Ich gewandt: „Hallo mein zukünftiges Ich / Weißt du, was aus mir geworden ist?“ Ihr habt aber auch in alte Gesichter geblickt: „Ein merkwürdiger Himmelskörper / mit tiefen Furchen auf der Oberfläche / des Zeitverlaufs.“ Und manchmal hat euer Spiegelbild etwas ganz anderes gezeigt, als es sollte: „Mein Leben lang habe ich gelogen / Denn meine Identität wird mir verboten“

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen der ausgewählten Monatsgedichte und danken allen Teilnehmer*innen für ihre eingereichten Texte!

Mumifizierung

Ruth Fink
2007

Unwissen – verlangt mich nach mir selbst
ein ungebetener Gast der eigenen Zeremonie 
ich 
bin 
wortlosester aller Münder 
Ehrungen werden von außerhalb empfangen
Schätze 
fassen weinend meinen Hals 
rubinroter Rubin
verblutende Augen 
habe ich doch keine Verletzung
sollte ich doch weitergehen
hinter mir 
der Fluch – nun eingebrannt in meinen Schatten
Überbleibsel meiner Reise
beschmückt mein Dasein
hatte ich doch nie nach Reichtum verlangt

reflexion in irdischer atmosphäre

Johanna Glowacki
2007

firmamente des himmels heißen

spiegelgesichter.

gefüllt mit energie und leben sind sie

grau, fest, locker, leicht, weich,

es reicht.

undichtigkeit.

parallelen zum leben das ich geführt haben soll:

aus wasserdampf sich verschiebende grimassen, fratzen werden lichter und bilden eine einheit aus zeit. furchen, feste züge, wechselhaftigkeit. du zeigst mir ein lächeln, eine träne, einen blick. 
und es macht klick

– klack.

die eine [wolke] geht, die andere kommt. wandert beständig. wie das leben macht sie vor allem eins: sie verändert sich unentwegt und macht klar, so wie ich leb‘

so lebte es sich nicht.

das licht am himmel bricht und du verschwimmst im wolkenmeer als gebilde mit sinnhaftigkeit.

ich sah dich, mich, und weiß

so lebt es sich nicht.

mache ich weiter wie bisher werde ich immer leerer, schwerer und ein blitz möge sich entladen. 

du hast mir gezeigt mit dem sturzbach aus schmerz, prasseln auf mein herz, ich muss es wagen. der sinn des lebens ist leben.

drum lass mich die ketten der zukunft abnehmen
 

und schweben.

Sie

Jana Götz
2007

Ein Mädchen starrt mir entgegen
Ihr Lächeln macht mich verlegen
In Wellen fließt ihr blondes Haar
Ich fühle mich ihr so nah
Doch ein einziger Blick ist genug
Meine Sehnsucht hat mich verflucht
Ein Schreien liegt mir auf der Zunge
Dort im Spiegel steht ein Junge
Mein Leben lang habe ich gelogen
Denn meine Identität wird mir verboten

Black-Box-Geheimnis

Gabriel Jakob Hoffmann
2011

Als die Tauriden vom Novemberhimmel fielen,
das Grammophon ein sehnsüchtiges Lied noch spielte,
erinnerte sich ein alter Hobbyastronom
an sein längst verstautes Newton-Teleskop.
Der Mann holte es aus dem dunklen Raum,
den er die Black Box seines Lebens nannte,
und schraubte vorsichtig den Spiegel ab.
Der Spiegel war mit Pollen jenes Frühlings noch bedeckt,
als Birken blühten…
Sein Lieblingsmädchen malte damals
mit rotem Lippenstift den Mars,
natürlich, auf der Linse des teuren Okulars.

Der feine Staubsturm zog zur Seite.
Er blickte in den Spiegel rein.
Dann tauchte plötzlich Unbekanntes auf:
Ein merkwürdiger Himmelskörper
mit tiefen Furchen auf der Oberfläche
des Zeitverlaufs.
Zwei Tränen trafen sich auf dieser Wüste
und hinterließen Lavaspuren.
„Bist du es, Mond Ganymed?
Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?“

Der alte See meines Ichs, verdammt

Tonda Montasser
2011

Narziss hat sich verliebt
in sich selbst, ich nicht.

Ich hocke an einem See
aus Selbstbeherrschung.

Der See vermischt
Purpurrot mit dunklem Grau,

fast unmöglich,
hier wahnsinnig zu werden. 

Darüber ein Baum des Chaos.
Zerstörung und Verstörung.

Ich schaue in mich selbst.
Riesige Stuhlmonster.

Was ist die beste Plage:
Masken, die andere beleidigen.

Dreiköpfige Eichhörnchen,
die in die Leere schauen.

Oder Handys mit Gefühlen.
„Ich habe mich immer gefragt:

was ist passiert,
dann wurde es mir egal“,

flüstert niederträchtig
verwirrt ich in alt.

Ich schau hin. Ich schau weg.
Bizarr, prometheushaft.

Es ist schrecklich,
die Zukunft so zu sehen.

 

Alle Terrassenmassakerkinder
sind tot. Außer ich.

Mein Hals kennt die Gefühle.
Ein Insekt, das langsam stirbt.

Ich habe Hunger. Essen…
Sitze endlos auf Stühlen…

„Oh, ich werde mich niemals töten,
um meine Seele zu retten“,

so singe ich,
willenlos und verstört.

Ich sehe meine Leber.
Ebenfalls gefesselt.

Adler können kommen
in jedem Moment.

Ich schreie und falle
vom Stuhl ins Wasser.

Das graue Wasser
färbt sich purpurrot

und ich bin endlich alt
und tot.

Hallo mein zukünftiges Ich

Amelia Schober
2007

Hallo mein zukünftiges Ich
Weißt du, was aus mir geworden ist?
Sag mir, dass du mein jetziges Ich nicht vergisst.
Hallo mein zukünftiges Ich
Denkst du, du bist so, wie ich es schon immer dachte?
Oder meinst du, dass mein Fleiß uns nicht weiter brachte?
Hallo mein zukünftiges Ich
Lebst du jetzt wirklich so, wie ich es immer wollte?
Ich hoffe, dass du nicht sagst, dass ich unsere Träume vergessen sollte.
Hallo mein zukünftiges Ich
Na, hast du alle meine Ziele jetzt wirklich erreicht?
Ich hoffe, das Leben macht es uns schön leicht.
Hallo mein zukünftiges Ich
Sag mir, dass ich jetzt endlich Ich sein kann.
Und sag mir dann, wann.
Hallo mein zukünftiges Ich
Versprich mir, wir sind in der Zukunft glücklich.
Sodass es für alle Außenstehende zu sehen ist, ganz deutlich.
Hallo mein zukünftiges Ich
Erzähl mir, dass unser Leben wird so wie in den Geschichten.
Mit ein paar, aber nicht allzu vielen Pflichten.
Hallo mein zukünftiges Ich
Bitte sag mir einfach, dass es sich lohnt.
Denn die Gedanken an unsere Zukunft sind mir doch noch zu ungewohnt.
Doch hallo mein jüngeres Ich
Ich kann dir versichern, wir werden das irgendwie hinkriegen.
Denn am Ende werden die mit den großen Träumen siegen.

Schreibe, um zu träumen.