u. dann war es in der abendstunde

Die Jury hat entschieden!

Zu den Gewinner*innen

DAYS HOURS, MINUTES, und  SECS
[[deadline:2022-05-31 24:00:00]]

Wettbewerb im Mai 2022

Magische Orte, die uns nachhaltig beeindrucken: Darum geht es bei lyrix im Mai. Wir stellen euch das Gedicht „tangermünde“ von Norbert Hummelt vor, in dem es genau um so einen Sehnsuchtsort geht. Und wir rufen euch auf, uns Gedichte von euren zauberhaften Sehnsuchtsorten zu schicken. Das können Orte in der Natur, aber auch in der Stadt sein, Orte zu ganz bestimmten Zeitpunkten, aber auch Orte in eurem Kopf, zu denen ihr reist, wenn es euch schlecht geht. Wir sind gespannt, was euch zu unserem Thema „u. dann war es in der abendstunde“ einfällt! Viel Spaß beim Suchen und Finden eurer Sehnsuchtsorte!

Habt ihr auch einen Sehnsuchtsort? Einen tatsächlichen Ort, der euch verzaubert hat, oder einen Ort in eurem Kopf, an den ihr reist, wenn euch alles zu viel wird? In dem Gedicht, das wir euch diesen Monat als Inspiration für euer eigenes Schreiben vorstellen, geht es genau um so einen Ort, den man für immer im Gedächtnis behalten möchte: Norbert Hummelt hält in seinem Text „tangermünde“ Eindrücke eines Besuchs der Elblandschaft rund um eben diese Stadt fest. Sich wiederholende Verse zu Beginn und Ende schmiegen sich um einen Kern, sehr ruhig, fast magisch wird die Landschaft zur Abendzeit beschrieben. Norbert Hummelt selbst sagt in einem Video an euch, das ihr weiter unten sehen könnt, dass er den zauberhaften Moment mit dem Gedicht in einer Art „Zeitkapsel“ festhalten wollte. In die Magie und die Schönheit des Moments schleicht sich aber auch eine gewisse Melancholie, eine Zwiespältigkeit und ein Erkennen der Vergänglichkeit aller Dinge. Letztere wird besonders in den Rufen des Kuckucks deutlich, beziehen sie sich doch auf einen Aberglauben, dass die Anzahl der Kuckucksrufe einem die noch verbleibenden Lebensjahre vorhersagt. Das lyrische Ich ist also „hier“, in dieser wunderschönen Landschaft zur Abendzeit, aber auch gleichzeitig mit den Gedanken „woanders“.

earthcam.com

Denkt euch an euren Sehnsuchtsort. Wo befindet er sich? In der Natur, in der Stadt oder in eurem Kopf? Oder ist es ein bestimmter Moment, eine Sternennacht, das Gedränge bei einem Live-Konzert im Freien oder ein Verkehrsknotenpunkt, von dem aus ihr überallhin könntet? Ihr könnt den Ort auch, falls es ihn tatsächlich gibt, auf earthcam.com suchen, einer Plattform, auf der man sich live auf Webcams an allen wichtigen Orten der Erde zuschalten kann. Sammelt eure Gedanken: Was seht ihr, was fühlt ihr, was macht das Magische des Orts aus? Und dann verarbeitet eure Eindrücke zu einem Gedicht. Wir freuen uns auf eure Texte zum Mai-Thema „u. dann war es in der abendstunde“!

tangermünde

Norbert Hummelt

u. dann war es in der abendstunde, daß der kuckuck
achtmal rief, zwischen dem kiesloch u. dem altarm,
zwischen elbestrom u. tanger. u. der wind war in den
pappeln, u. die eichen hielten still. u. die allee ging
immer nur so fort, u. es war kein ende sichtbar. u.
ich saß mit meinem kind am ufer, u. ein kahn war
auf dem fluß. u. der wind war in den pappeln, u. die
eichen hielten still. zwischen dem kiesloch u. dem
altarm, zwischen elbestrom u. tanger. u. dann war
es in der abendstunde, daß der kuckuck achtmal rief.

tangermünde aus; Norbert Hummelt, Sonnengesang (c) 2020 Luchterhand Literaturverlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Weiterführende Informationen

Norbert Hummelt
Geboren 1962 in Neuss, studierte Germanistik und Anglistik in Köln und lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Er ist Lyriker, Essayist und Übersetzer und außerdem Autor literarischer Features für verschiedene Radiosender. Bis heute erschienen die Gedichtbände „knackige codes“ (Druckhaus Galrev 1993), „singtrieb“ (Urs Engeler Editor 1997) sowie „Zeichen im Schnee“ (2001), „Stille Quellen“ (2004), „Totentanz“ (2007), „Pans Stunde“ (2011), „Fegefeuer“ (2016) und „Sonnengesang“ (2020, alle Luchterhand Literaturverlag). Er übertrug T.S. Eliots Gedichtzyklen „Das öde Land“ (Suhrkamp Verlag 2008) und „Vier Quartette“ (Suhrkamp Verlag 2015) neu ins Deutsche und ist Herausgeber der „Gedichte“ von W.B. Yeats (Luchterhand Literaturverlag 2005). Auskunft über seine Poetik gibt der Essay „Wie Gedichte entstehen“ (mit Klaus Siblewski, Luchterhand 2009). Kurze erzählende Texte und Essays sind in „Der Atlas der Erinnerung“ gesammelt (Nimbus Verlag 2018). Für seine literarische Arbeit wurde er u. a. mit dem Rolf-Dieter-Brinkmann-Preis, dem Mondseer Lyrikpreis, dem Hermann-Lenz-Stipendium und dem Niederrheinischen Literaturpreis ausgezeichnet. 2018 erhielt er den Hölty-Preis für sein lyrisches Gesamtwerk. Zuletzt wurde er mit dem Rainer-Malkowski-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste für 2020 geehrt. Für lyrix ist Norbert Hummelt seit 2008 als Leiter der Preisträger*innenwerkstatt sowie als Jahresjuror tätig. Zuletzt erschien sein Buch „1922 – Wunderjahr der Worte“ im Luchterhand Literaturverlag (2022).

Norbert Hummelt, Foto: Laura Baginski

Videos

Lesung und Schreibimpulse von und mit Norbert Hummelt

Schreibe, um zu träumen.