Unsere Gewinner*innen im Oktober 2023

Wettbewerb im Oktober 2023

Pst! Im Oktober haben wir euch aufgerufen, uns Gedichte über Geheimnisse zu schicken. Kleine und große, private und öffentliche, lustige und traurige, gehütete und endlich gestandene. Inspiration gab es unter anderem von unserem Monatslyriker Tillmann Severin und seinem Gedicht „an einen der erbauer der dreistufigen interkontinentalrakete 8к713, die auch гр1 genannt wird“. Besonders überzeugen konnten in diesem Monat Mylinn Goodwin, John Frederik Lindenberg, Tonda Montasser, Mathis Nienhoff, Skylar Rath und Mona Ilena Schlegel! Herzlichen Glückwunsch, die Jury hat eure Texte ausgewählt und sie werden somit in die lyrix-Jahreswertung 2024 eingehen. Wir wünschen allen viel Spaß beim Lesen dieser Geheimnis-Gedichte! Seid gespannt auf geheime Schmetterlinge, Überlegungen, ob ein bestimmtes Geheimnis besser erzählt oder verschwiegen werden sollte, Geheim-nissen vom Mama und Papa Laus und einiges mehr!

Das Geheimnis der Schmetterlinge

Mylinn Goodwin

2013

Schmetterlinge.
Schöne Tiere.
Häufige Tiere.

Wir sehen sie soooo oft.

Auf dem Schulweg,
bei einer Wanderung,
als Deko aus Papier,
im Freibad,
in Museen,
als Schmuck,
auf einem T-Shirt,
….

Aber nehmen wir sie so richtig wahr??
Die Antwort:
Nein.

Also…sind sie ein Geheimnis?
Die Antwort:
Nein.

Wir nehmen sie nicht so richtig wahr und wenige beschäftigen sich mit ihnen.

Also sind sie fast ein Geheimnis.
Oder?
Ja, kann man so sagen.

Manche kennen vielleicht einen Zitronenfalter oder ein Tagpfauenauge.
Aber hast du schon mal von einem Osterluzeifalter oder einem Lilagold-Feuerfalter gehört??
Ich glaube nicht.

Also haben manche Schmetterlinge ein Geheimnis:
Dass es sie gibt.

Geheim-nissen

John Frederik Lindenberg

2010

Mama Laus und Papa Laus, das darf niemand wissen,
Haben ein Geheimnis: Sie bekommen Nissen!
Papa Laus sagt: „Wir müssen vorsichtig sein,
Sonst kommt zu uns der Kamm herein!
Wir brauchen ein Versteck,
Sonst fegt der Kamm die Eier weg!“
„Wie wär‘s denn mit dem Nacken?“,
fragt Mama Laus.
„Nein, da wird der Kamm sie packen!“,
ruft Papa aus.
Ach, was soll‘s, sie werden sich vermehren,
Da muss der Kamm sie gar nicht scheren.
Und fährt er doch mal durch den Schopf,
Klettern sie auf den nächsten Kopf.
So müssen sie keins vermissen
Von ihren süßen Geheim-nissen.

Planet der Giraffen (Verschwörungstheorien-Blues)

Tonda Montasser

2011

I

Schweiß auf deiner Halsschlagader,
auf deiner beige-pinken Haut,

Dies also ist Wahnsinn, dein Geheimnis, 
breitet sich aus, brennt wie Whiskey

in Wunden, geheimnisvoll
wie blutende Fingerkuppen,

Verse, die attackiert werden
von vespula germanica.

Sowas.

II

Das größte aber, wie all das
um uns entstanden ist.

Z.B. in Traumfallen beatmet
von Regierungen,

Paranoia in Schlafparalysen.
Fake-Fakten als Kern

einer Verschwörungstheorie.
Das größere Problem aber bist du.

Du willst nicht erkennen,
dass alles ein Inside Job ist.

Selbst dein Apartment
ist Gehirnwäsche.

III

Erkenne besser, dass
die Erde Hals und Bauch

einer riesigen Giraffe ist.
Wie sonst könnte unser Planet

so fleckig sein,
so gigantisch und robust.

IV

Wir nagen die Erde mit Gier ab

und behaupten dann,
dass sie immer noch existiert.

Ein Vorspiel dafür,
dass es nichts außer uns je gab,

ein Nachspiel,
dass es nicht mal mehr uns gibt.

Satt von den Lügen?
Kein Sarkasmus?

V

Doxx dich selbst,
ghoste dein Apartment,

schließ dich uns an,
der blauen Giraffen-Religion.

Alternative Wahrheit:
Eine neue Plage nach uns.

 

VI

Am Ende sind wir
nur Träume

und Geschichten
von AI-Geburten.

Klauen jeden Tag,
den sie für uns erfinden.

Warum Geheimnisse leaken,
warum etwas ändern,

wenn man lügen
und sich versprechen kann,


die Wahrheit zu sagen. 

Der Weg nach weg

Mathis Nienhoff

2008

Hab‘ was gemacht
Himmel oder Hölle?
kann sich nur Petrus denken
Darauf erstmal ein Bier
denn das könnte das Letzte sein
dringend brauche ich den nächsten Flug 
doch Geld für ein Ticket habe ich
nicht

Was ich gemacht hab‘
fragst du dich
ich kann’s dir sagen
glaube ich zumindest
Doch schweig‘ still
wenn du dein Maulwerk nicht zügelst
dann lebst du noch lange 
nicht

Jemand auf’m Gewissen
Der/Die Typ*in war schlecht/gut/Ansichtssache
doch mord auch alles drei
Aber kein Bauch der weiß noch
nicht
ob es die richtige Wahl war
Das Grundgesetz(Art. 20 Abs. 4) sagt es
nicht
das Ticket ins Amiland ist zu teuer
und die Deutschen haben dort zu viele Rechte
Doch nach China oder Russland 
kann ich unter Gefahren reisen.
Ein alter Freund von der alten Asi-Schule
der ist schon ausgewandert nach Russland
was er dort arbeitet weiß ich nicht
nicht(doppelte Verneinung)

Er arbeitet dort als Frachtflugzeugflieger
Ich glaube Pilot nennt man das in Fachkreisen
und sein Flieger ist etwas kaputt
doch hab‘ ich eine andere Wahl?
ich muss eilen nach Amsterdam
Dort hebt er morgen ab
aber die Grenzkontrolle hält uns an der Grenze an 
nicht

Dort bin ich am Flughafen
die Tatwaffe dabei, ein Korkenzieher
Doch der Flieger geht in 2 Minuten
Er hat Verspätung als wäre es die Bahn
Ein kurzer Schnitt
ein paar Stunden später
Landung in St. Petersburg
Ich wurde vom Militär abgefangen
nicht
doch, der Führer ist tot


Offenes Ende

Skylar Rath

2009

Wörter so verworren,
dass ich sie nicht mehr greifen kann.
Endliche Antworten auf unendliche Fragen.
Will nicht überleben,
solange ich nicht lebe.
Geheimnisse gelüftet, doch nicht meines.
Es wird zur Last, kann es nicht mehr tragen.
Wie eine Bürde ablegen. wenn sie selbst mir unbekannt bleibt?

Trage diese Verse bei mir,
um sie zu verstehen.

Die zertretenen Gänseblümchen am Wegesrand 
Fußabdrücke im Schnee
und ein jener Zigarettenstummel am Bahnhof.
Ich verliere mich in Spekulationen,
sehe Kunst in allem,
nehme mich ihrer an.
Verleihe ihnen neue Schönheit,
rahme sie ein und behalte sie für immer.

Vielleicht ist es das, was niemand weiß.
Nicht einmal ich.
Erscheint mir zu fremd, um ein Teil von mir zu sein.
Doch zu vertraut, als dass es jemand anderem gehört.

Such‘ vergebens eine Erklärung.
Ein Gedicht mit offenem Ende.

vom verlieren

Mona Ilena Schlegel

2010

Du fragst mich lächelnd –
Ich wehre ebenso ab.
Du fragst nach –
Ich verneine.
Du wirst argwöhnisch –
Ich hastig.
Du wirst wütend –
Ich traurig.
Du schreist –
Ich schweige.

Warum erzählen? – es ist doch längst vorbei.
Warum zerstören? – ich will nicht verlieren.
Warum verletzen? – der vollkommenen Ehrlichkeit willens?
                                    Nein.
Und nun?
Habe ich geschwiegen – und damit anderes erzählt.
Habe ich zerstört – und dich verloren.
Habe ich verletzt – 

Schreibe, um zu träumen.