Unsere Gewinner*innen im April 2023

Wettbewerb im April 2023

„weil keine Hand so warm sein wird wie deine“

Im April haben wir eure Gedichte über das Vermissen gesucht. Erreicht haben uns Texte voller berührender Momentaufnahmen, die euch an Menschen erinnern, die ihr vermisst. Ihr habt euch gefragt, was bleibt, wenn jemand nicht mehr in unserem Leben ist: Schmerz? Vergessen? Vielleicht nicht doch auch, zumindest irgendwann, etwas Warmes, Schönes? „Vermissen macht kaputt und setzt zusammen“, heißt es treffend in einem eurer Gewinner*innentexte.

Wir gratulieren Mylinn Goodwin, Eva Hamann, Tabea Liß, Jule Maxeiner, Anna Merklinger und Mona Ilena Schlegel zu ihrem Monatsgewinn im April 2023 zum Thema „eine viertelstunde versucht dein lachen zu imitieren“!

was ich vermisse

Mylinn Goodwin
2013

Sehnsucht
ist schlimm
ich bin traurig
danach werde ich wütend
ich vermisse etwas Wichtiges
was ich wirklich
gern hab
Mich

2.000 km

Eva Hamann
2011

Heut’ habe ich allein gebacken,
gestern haben wir zusammen gebacken,
zwischen uns sind Panzer und Krieg,
jetzt ist der Weg versperrt…

Heute war ich mit dir beim Markt,
in meinen Gedanken, so wie damals mit dir,
doch zwischen uns sind Panzer und Krieg,
jetzt ist der Weg versperrt…

Du hast mich auch immer zum Essen gerufen,
als ich mit meinen Freunden beim Spielen war, die ich safe nie wieder sehen werde,
denn zwischen uns sind Panzer und Krieg
jetzt ist der Weg versperrt…

Du kannst mich nicht mehr besuchen kommen,
ich kann dich nicht mehr besuchen kommen,
zwischen uns sind Panzer und Krieg,
jetzt ist der Weg versperrt…

Ach Oma, so geborgen hab’ ich mich bei dir gefühlt,
doch das war gestern und ist nicht mehr die Realität.

VermissenistSchmerz

Tabea Liß
2008

(Ich weiß, es ging um Tipps gegens Vermissen, aber es gibt keine, sorry)

VermissenistSchmerz

Vermissen ist, keine Luft mehr zu bekommen.
Vermissen ist, jeder Atemzug brennt und nicht in deiner Nähe sein noch viel mehr.
Vermissen ist,  mit dem Handy in der Hand einschlafen, auf dem deine Fotos verblassen.
Vermissen ist, nicht einschlafen, weil die Gedanken wach halten.
Vermissen ist, wenn Schlaf der einzige Zustand ist, in dem es nicht weh tut. Wo Träume alles sind, wo ich dir nahe bin. Und Achterbahnen aus Schmetterlingsnudeln. (fragt nicht).
Vermissen ist, mit dem Gedanken einschlafen, dass ich dich morgen sehe.
Vermissen kann schön sein. Wie Vorfreude. Ein dDarauf-hin-Fiebern, auf einen Moment, eine Person. Ein schmerzhaft schönes Ziehen, dass die Bedeutung offenbart, die Gefühle aufdeckt.
Vermissen kann schmerzhaft sein. Es kann dir wehtun, dich verletzen, dich zerstören, dich brechen. Und trotzdem zeigt es immer noch nur, wie sehr du eine Person liebst. Wie wichtig dir ein Gegenstand ist. Wie sehr dir etwas fehlt.
Vermissen ist, nachts um 3 zu schreien, so stumm, dass es niemand hört.
Vermissen ist, niemand sieht dich und niemand weiß, wie es dir geht. Niemand versteht dich, du bist einsam.
Vermissen ist, du öffnest Spotify und traurige Songs verstehen dich. Vermissen ist, du verstehst alle, die davon singen, dass die bloße Abwesenheit einer Person das Herz bricht. Vermissen ist, der Schmerz in ihren Stimmen ist deiner. Die Lyrics sind, was du sagen willst, die Akkorde dein Herzschlag und die Töne deine Tränen.
Vermissen ist lachen mit anderen und schreien alleine.
Vermissen ist das Handylicht in der Dunkelheit und dein Profil auf Instagram, das geöffnet ist.
Vermissen ist der Versuch, zu verdrängen. Das Kopfausschalten und Nicht-dran-Denken. Vermissen ist der Staub auf den Regalbrettern, der mich stört, den ich aber nicht wegwische. Ich weiß, er ist da, aber ich beachte ihn nicht.
Vermissen ist, Schmerzen werden egal. Schmerzen bedeuten nichts mehr, Schmerzen sind nichts mehr gegen den Schmerz im Inneren.
Vermissen ist allein aufwachen und allein schlafen gehen, weiterleben. 
Vermissen ist funktionieren.
Vermissen ist unendliche Leere. Ein Abgrund, in den ich falle, der alle Helligkeit vertreibt. Würde ich ein Streichholz entzünden, würde die Schwärze die Flamme verschlucken.
Vermissen ist ein Feuer, das heller brennt als Hoffnung, das alles niederbrennt. Dessen Licht die
Dunkelheit verdrängt. Das Auftrieb gibt, um zu fliegen

Vermissen macht kaputt und setzt zusammen.
Vermissen tut weh.
Ich vermisse dich.

die Narzissen vom letzten April

Jule Maxeiner
2008

nur der verbrauchte geruch eines zu lang gebrauchten zimmers – ich rieche an den Narzissen vom letzten April
die kleine narbe an unseren daumen – eine brücke zwischen dir und mir
doch eine brücke ist gebrochen
und du bist verblüht
so wie die Narzissen vom letzten April.

der winter kam und du ranntest
weg von der dunkelheit weg von der kälte
und ich rannte hinterher
doch eine brücke war gebrochen, du warst blind –
jetzt steh ich hier mit dem rest von dir gefangen in mir
in der hand 
deine Narzissen vom letzten April.

Erinnerungen an dich

Anna Merklinger
2009

An manchen Tagen frage ich mich, welchen Unterschied es gibt zwischen Vermissen und Vergessen
Dann stelle ich mir vor, wie es wäre, dich wieder zu sehen
nicht mehr von dir, sondern mit dir zu reden und dein Lachen zu hören so wie früher
Aber es ist nicht so einfach. Weil es nicht mehr du bist
Weil du mit jedem Gedanken, mit jeder Träne immer mehr verschwimmst
und ich spüre wie das Blau deiner Augen in meinem Herzen versickert, für immer verloren, an seiner Stelle trübes Grau
Ich sehe, wie die Sommersprossen auf deiner Haut verwehen, zu Staub zerfallen
Ich weiß nicht mehr, wie deine Stimme klingt
Ich höre nur verzerrte Töne, die mich nicht mehr an dich erinnern
Es ist schon wieder Winter und ich denke daran, dass du immer so warme Hände hattest, denn meine waren immer kalt, du hast sie gehalten und unsere kleine Welt war perfekt für uns beide
Jetzt ist sie zerbrochen, doch niemand wird sie reparieren können, weil keine Hand so warm sein wird wie deine
und du hast nach Vanille gerochen, nach Sonnenstrahlen im Herbst, manchmal (das mochte ich besonders) dufteten deine Haare nach Kaffee, ein bisschen nach Rauch, dann habe ich darüber gestrichen und meine Nase darin vergraben, denn ich wollte für immer an dein ruhiges Lächeln denken
Heute schmeckt mein Kaffee bitter und heiß, nicht nach Vanille, nicht nach Sonne, nicht mehr nach
dir
Von deiner alten Fassade bröckelt das Salz meiner Tränen
Ich wünschte es wäre nicht so, doch ich kann es nicht ändern; ich habe dich verloren, ich habe
vergessen, wer du warst
Was ich vermisse, bist nicht mehr du und ich erkenne: Man kann keinen Schatten lieben, so wie wir uns geliebt haben
Also vermisse ich nicht das, was du warst, sondern unsere Welt:
wie wir gelacht haben und geweint, wie du mich angesehen hast, wenn wir getanzt haben und gesungen
Wie wir jeden einzelnen Tag verbunden waren, verließen die Grenzen, verloren die Zeit
neben all dem Schmerz und den Tränen und dem Leid sind die Schleier deiner Seele das, was mir
bleibt
vermissen.
nicht
vergessen.

Mona Ilena Schlegel

Nicht über Sehnsucht SDP
2010

Ich will nur, dass du weißt, 
dass Vermissen nicht das Ende ist.
Sondern die Mitte. Und einnehmt Anfang. 


Ich will nur, dass du weißt,
dass du eines Tages weniger vermissen wirst. 
Weil du anfängst zu vergessen. 


Ich will nur, dass du weißt, 
dass auch das Vergessen nicht das Ende ist. 
Nichts ist unendlich. Außer das Ende natürlich. 


Ich will nur, dass du weißt, 
dass es eine Zeit nach dem Vergessen geben wird. 
Die Erinnerung. 

Schreibe, um zu träumen.