Unsere Gewinner*innen im Juli 2023

Wettbewerb im Juli 2023

Herzlichen Glückwunsch unseren sechs Monatsgewinner*innen in der Altersgruppe 10–14! Leonie Benson, Vera Esser, Mylinn Goodwin, Tonda Montasser, Karla Sander und Simon Schendel konnten die Jury mit ihren Einsendungen zum Thema „briefmarkengroße nachmittagsbissen“ überzeugen. Hierzu baten wir euch, uns eure Fürsorgegedichte zu schicken. Inspiriert von einem Gedicht der Lyrikerin Simone Lappert solltet ihr von einer unvergesslichen Situation schreiben, in der sich jemand um euch gekümmert hat. Oder ein Gedicht für jemanden schreiben, der*die es gerade schwer hat und der*dem ihr Stärke, Mut oder eine Aufmunterung wünscht. In den Gewinner*innengedichten nähert ihr euch dem Thema Fürsorge auf ganz vielfältige und kreative Weise. Es wird Müttern gedankt, das Kümmern um ein Baby bedichtet und sogar einem Käfer wird ein Gedicht gewidmet: „Er war für mich, / ganz unbewusst, / da, als ich wen brauchte“. Viel Spaß beim Lesen der vollständigen Texte!

Absorbierte Seele

Leonie Benson

2008

Ergreife meine Hand und halte fest. 
Halte fest, bis ich ertrink.
An deinen dunklen Zwilling, der laut um sich wütet.
Lass sie nicht los, sondern lass mich sinken und dich zum Schweben bringen.
Fliege hoch hinauf, weit weg von dieser Welt.
Doch entgleite nicht meiner Hand.
Ich muss sehen, dass du wach bleibst.
Nicht dem Zwilling die Macht überreichst.
Die Flügel kappst und alleine im Wasser treibst.
Denn dein Zwilling wird dich absorbieren.
Leise und qualvoll.
Doch dies ist eine Seele, kein Mutterleib.

Mama

Vera Esser

2009

Huch, ein Klingeln,
Rasch vorbei.
Auf Füßen und nun zähl‘n bis drei,
Nur um sie aufzuschwingen.

Unbehagen,
Keine Post.
Tiefer Atemzug, mein Trost,
Sprache wurde mir verschlagen.

Stelle sie sich nun vor mich,
Kühle Mauer aus Stein.
Nichts von der strömenden Wut käme herein,
Schauen wollte ich nicht ins Licht.

Volle Ladung herbeigeflutet,
Nur auf sie zu.
Nur damit ich mich ausruh‘.
Selbst ich hätte keine Schuld, wäre sie daran verblutet.

Abends, ach der Vollmond scheine,
Find‘ ich keinen Schlaf.
„Gute Nacht, Mama“, während sie bei mir saß.
Auch kein Wissen, ob sie nicht später losweine.

Morgens, Duft nach Gold und Schimmer,
Ach, so lecker blüht das Brot, Apfel.
Hat sie gedeckt, mit Lächeln, sogar eine Waffel.
Ob sie wohl bedrückt war noch immer?

Dann geh‘n raus, Lichter und Kerzen,
So prachtvoll enthüllt.
Kinderpunsch im Herbst mich hat erfüllt.
Mit trauerndem Herzen fängt sie an, mit mir zu scherzen.

Welch‘ ein Spaß, welch’ ein Glück!
Nächstes Mal dann Einkaufen.
Wachsam, sie sei jedes Mal gespannt, kein Verlaufen.
Ich freu‘ mich, wenn mit Kugeln ich den Baum schmück‘!

Nie ein wenig Traurigkeit,
Vor meinen Augen sie entblöße.
Nur immer ihre Größe
Umarmte, wenn überrollte mich Einsamkeit

Spaß und Freude,
Immer da.
Nicht mal ich wusste, dass sie schlafen war.
Morgens wach, mittags hier, abends für‘s Lesen keine Zeit vergeude.

Ja, das ist meine Mama.
Wie ein warmes, großes Schloss.
Nie ihre schlechten Gefühle nach außen ausgoss.
Unermüdlich, stets bereit, schon immer sie war da.

Da Da

Mylinn Goodwin

2013

Ich gab ihr Essen
und sie sagte Da Da und steckte es sich in den Mund.

Ich schob ihren Kinderwagen
sie sagte Da Da und zeigte auf die Berge.

Ich fragte Wo Wo
und sie antwortete Da Da.

Auf dem Spielplatz, ich baute Sandburgen
doch ehe ich mich versehen hatte, waren sie kaputt
sie sagte Da Da.

Zuhause gab es viele Bälle
sie sagte Da Da und zeigte auf einen.
Dann krabbelte sie hin und holte sich ihn.

Draußen, wenn sie lief, machte sie 3 Schritte und sagte Tocka, Tocka, Tocka.
Dann fiel sie hin, stand wieder auf und wieder von vorne:
3 Schritte und Tocka, Tocka, Tocka

Immer wenn sie den Schaukelstuhl sah, zeigte sie drauf
und sagte Da Da.

Ich hob sie rein und schaukelte sie an.
Sie war glücklich und sagte Da Da.

Wenn ich Geige spielte,
tanzte sie dazu und sagte Da Da.

Der seltene Fall, dass sie mal weinte,
wurde dadurch gelöst, dass jemand sie auf den Arm nahm.

Für 2 Minuten,
dann war sie wieder happy
und sagte Da Da.

Und abends, wenn sie müde war, sagte sie Me.
Das bedeutete so viel wie: Milch!

Also legte Tante Lena sie in meinen Schoß
und ich gab ihr die Milch.

Sie sagte Da Da.

Muttertagsgedicht (Fürsorge reloaded)

Tonda Montasser

2011

I

Mutter, ich liebe dich.
Deine Tollwut, dein Geschrei

gegen die Zeit,
deine Kugelschreiber-

Krampfanfälle, das viel 
zu viele Dopamin

in deinen Händen.
Danke, für all die Zeit,

allein mit mir verbracht,
das Nicht-Abholen,

das Valium, gespritzt
in meine Energy-Drinks.

Danke für die Stunden, die ich
im Zimmer wie Essen schmorte.

Dass du mir nachts, wenn ich aufwache vor Hunger,
keine gebratenen Würstchen servierst.

Danke, du nicht Yu-Gi-Oh spielen lernst,
aber perfekt Salz in jede meiner Wunden streust.

Danke, dass du mich nicht
in die Welt gelassen hast,

ohne den Fahrradhelm
der Sprache.

Danke für das Absetzen
im dunklen Wald der Seele

ohne Brotkrumenspur.
Danke, dort habe ich dichten gelernt.

Danke, dass dich meine Gedichte
nie interessiert haben.

Danke, dass du auch das hier
nie lesen wirst.

II 

Mutter, ich liebe dich,

Alle Terrassenmassakerkinder
pilgern mit ihren Fahrradhemen zu dir,

der Göttin ihres Lebens,
der ewig strömenden Energie

und geben dir ihre Blätter
aus Seide.

Die Terrassenmassakerkinder
sind deine ersten Follower,

sie würden ihr Leben
lassen für dich.

Danke, ich durfte alles tun,
solange es nur für uns war,

im Rhythmus unseres Lebens
bin ich Nickbackbo,

schenke ich dir den Flow.

Der kleine käfer

Karla Sander

2009

Ich rieche nichts!
Ich höre nichts!
Ich fühle nichts!
Ich denke nichts! 
Ich bin einfach nicht ich selbst…
Doch dann ein winzig kleiner Käfer, 
krabbelt auf mich zu 
und schließlich bleibt er stehen.
Er sieht mich an,
in aller Ruh
und dann:
Ich rieche etwas!
Ich höre etwas!
Ich fühle etwas!
Ich denke etwas!
Alles nur wegen dem Käfer…
Nur weil er auf einmal hier war,
konnt ich an etwas anderes denken.
Er war für mich,
ganz unbewusst, 
da, als ich wen brauchte. 
Und jetzt fühle ich mich gut.
Jetzt habe ich den Mut.
Jetzt ist alles wieder gut!

liebesbfrief vom menschensohn

Simon Schendel

2008

das kreuz auf deinen schultern
das deine armen glieder
zur erde zwingt

das will ich für dich tragen
hinauf den todeshügel
nach golgatha

ich stelle mich dem leiden
dem leiden deiner seele
an diesem kreuz

ich trage deine wunden
ich trage deine schmerzen
und deine angst

beschaue meine seite
und sieh: sie ist durchstochen
und lehn dich dran

beschaue meine hände
und sieh: sie sind durchhämmert
und fass sie fest

und dürstest du nach liebe
so fall mir in die arme
komm als du selbst

und spüre meine wunden
du wirst an ihnen fühlen
was liebe ist

Schreibe, um zu träumen.