jetzt / ein Steinzeit-Telegramm

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Wettbewerb im März 2024

Spielt ihr gern Mittelalter-Games? Oder lest ihr Zeitreise-Romane? Es macht Spaß sich in eine ganz andere Zeit zu versetzen und sich vorzustellen, wie die Menschen damals lebten. Aber habt ihr euch auch schon einmal gefragt, was genau bei euch im Ort früher los war? Wie sah euer Klassenzimmer wohl in den 1950er Jahren aus, wie eure Stadt im Mittelalter, und standen vielleicht genau da, wo jetzt euer Sportplatz ist, früher Dinosaurier?

Wenn ihr euch ausmalen möchtet, wie es konkret in eurer Umgebung früher aussah, ist es vielleicht spannend zu wissen, dass Deutschland vor Millionen von Jahren noch gar nicht an der Stelle lag, an der es jetzt zu finden ist. Hätte es damals Menschen, Autos und unsere heutigen Nationalstaaten gegeben, hätten sie ohne Probleme von Deutschland aus mit dem Auto nach Kanada fahren können. Denn es gab auf der Erde nur einen riesigen Kontinent und einen Ozean. Der bisher letzte Superkontinent in der Geschichte unserer Erde wird Pangaea genannt. Die Karte rechts zeigt, wie die Erde – mit unseren heutigen Nationalgrenzen – damals ausgesehen haben könnte.

Der Superkontinent Pangäa und der „Urozean“ Panthalassa in erdgeschichtlicher Vergangenheit, Foto: CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Noch heute erzählen die Formen der Erdteile die Geschichte unseres Planeten, teilweise passen sie fast wie Puzzleteile aneinander. Auch unser Monatsgedicht handelt davon, wie ein Ort Spuren seiner weit zurückliegenden Vergangenheit zu Tage bringen kann: Die ungarische Lyrikerin Ágnes Nemes Nagy erzählt in ihrem Gedicht „Lärche“, wie Erdschichten ihre Geschichte über die Wurzeln und den Stamm des titelgebenden Nadelbaums an die Oberfläche transportieren, fast wie ein Telegramm aus der Steinzeit.

Versetzt euch im März in eine Zeit vor unserer zurück und schreibt ein Gedicht über einen Ort im Wandel der Zeit, über Spuren der Vergangenheit in eurer Umgebung oder etwas, was sich genau hier zugetragen haben könnte, aber jetzt kaum mehr zu sehen ist. Ob ihr in der Geschichte dabei nur wenige oder direkt Millionen von Jahre zurückspringt, könnt ihr frei wählen. Wir sind sehr gespannt, welche poetischen Spuren aus der Vergangenheit den Weg zu uns finden!

Lärche

Ágnes Nemes Nagy

Großer, gelber Himmel. Schwerer
Bergrücken lastet auf einer Wiese.
Reglos auf magnetischer Erde
Eisenspäne, dunkel, aus Gras.

Verirrte Lärche.
Summen. Kälte.
Summen: durch gewaltigen Stamm,
Lärchensäule von löchriger Rinde,
durch Schuppenwurzeln schießt jetzt
ein Steinzeit-Telegramm.

Unbekannter Vogel, hoch oben,
Vogel am Himmel – gerunzelt
die Augenbrauen ohne Gesicht –
dahinter verblasst schon das Licht,
die Augenlider fallen zu, Blindfenster –
ein Summen, durch das unsichtbare
schwarze Laub rauscht die Nacht,
die Wipfel zu Kohle gepresst,
ihr schwarzes Herz schnurrt auf.

aus: Ágnes Nemes Nagy, Mein Hirn: ein See.
Herausgegeben und aus dem Ungarischen übersetzt von Christian Filips und Orsolya Kalâsz,
roughbooks / Engeler Verlag, Schupfart 2022.

Weiterführende Informationen

Ágnes Nemes Nagy, Foto: Fortepan / Hunyady Joìzsef

Ágnes Nemes Nagy gilt als die bedeutendste ungarische Dichterin des 20. Jahrhunderts. Sie wurde 1922 in Budapest geboren, studierte dort Ungarisch, Latein und Kunstgeschichte und erwarb 1944 den Abschluss als Gymnasiallehrerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg und vor der kommunistischen Machtübernahme war sie Mitglied der intellektuellen Schriftstellergruppe „Újhold / „Neumond, deren gleichnamige Zeitschrift später verboten wurde. 1946 erschien ihr erster Gedichtband Kettős világban / In einer doppelten Welt. 1948 wurde sie mit dem damals bedeutendsten Literaturpreis Ungarns, dem Baumgarten-Preis, ausgezeichnet. Während der stalinistischen Zeit erhielt sie von 1949 bis 1957 Publikationsverbot, sodass sie ihren zweiten Band Szárazvillám / Trockenblitz erst 1957 veröffentlichen konnte. Es folgten der Band Napfordulók / Sonnenwenden 1967 sowie poetologische Essays. Wenige Jahre nach ihrem Tod 1991, wurde sie für ihr Engagement gegen den Nationalsozialismus als „Gerechte unter den Völkern geehrt. 2021 wurde ein Asteroid nach ihr benannt. Ihr Leben und Werk werden bis heute als richtungsweisend wertgeschätzt.

Schreibe, um zu träumen.