Unsere Gewinner*innen im März 2020

Wettbewerb im März 2020

Die Gewinnertexte des Wettbewerbs im März stehen fest! „schon damals immer noch ein kind“ lautete das Thema, entnommen aus dem Gedicht „Noch fünf Tage“ von Yevgeniy Breyger. Wir sind sehr froh über die vielen Einsendungen, die uns hierzu erreicht haben.

Tiefgang

Ruta Dreyer
2002

da war: der Raum mit den Neonlichtern, also. 
mit den gelben Streifen, die du dir hinter. 
den Augen selbst gemalt hast, die Begrenzungen. 
zwischen Theke und Eingang, wo wir Spuren gesucht haben.

es gab: Hände, die fuhren durch die Luft. 
die malten! also Formen, Muster, wo wir Mandalas gesehen. 
haben, was fandest du schöner? das Weinen davor. 
oder das danach oder auch einfach nur das. 
Danach

der Raum dahinter war das Mysterium wo. 
der Kronleuchter hing, der die Wellen. 
die über den Boden fielen widergespiegelt. 
hat als du deinen Finger an den Lampenscherben. 
schnittest, sagtest du: hauptsache Fühlen!

wir fragten uns: wie wird das in zehn Jahren sein? die Leute. 
sagten: vielleicht haben wir dann mehr. 
das Vermögen unsere Impulse zu unterdrücken. 
was unterdrücken wir dann? die Gefahr oder. 
das Verlangen nach ihr

die Frage ist: waren wir naiv? nun. 
siehst du taumelnde Gestalten. 
in den Keller ein- und auskehren welchen Bezug. 
hast du zu ihnen? du hast eine Narbe am Finger. 
von den Scherben des Kronleuchters hängt der Rest. 
von ihm dort noch?

wir haben ein Gebiet verlassen von dem. 
wir meinten: dort wird alles wahr was. 
wir uns wünschen (oder jemals gewünscht. 
haben)

vor uns liegen gebrochene latten, wir. 
bauen stege seitwärts. 
wir.

wann haben die Dinge aufgehört stattzufinden? 
ich glaube als du weggezogen bist nun raufst. 
du dir oft die Haare und wünscht dich zurück. 
du lebst nun sicher.

(aber damals hast du dir das vielleicht auch gewünscht, manchmal und 
unter gewissen Umständen)

Titel:unbekannt

Lea Eisenhuth
1999

Hände klatschen auf einander. Applaus. Der Sieg ist meiner. 
Mit Ohren hängen sie an meinen Lippen. 
Wie ein Schwamm, saugen meine Worte auf. 
Scheine fliegen aus den Taschen. 
Mein Konto ist gefüllt. 
Die Füße sind platt vom Stehen. 
Danke, das ist ein Autogramm

Was soll ich dir schon sagen? 
Hab vergessen wie man spricht. 
Der schwarze Parasit 
Er reißt mir meine Flügel aus. 
Fliegen ist eh waagrechtes Fallen. 
Eine dürre Kuh frisst das Gras in meinem Hirn. 
Mein Kopf ist leer.

Stille. 
Wenn du hören willst 
Sprich. 
Ich hab dir nichts zu sagen. 
Der Strauß steckt mit dem Kopf im Sand. 
Ich press mich auch da rein 
Der Scheffel steht mir gut.

Duden ist auch kein Goethe 
Und Goethe keine Frau 
Ich lebe heute und nicht gestern 
Du willst Schiller sein? 
Ist ausverkauft 
Im Angebot jetzt: Brotlose Kunst

Der Ohrenzwicker schmatzt 
Hat wohl gut geschmeckt 
Vorher wars nicht anders 
Einen Stummen hört ja keiner 
Nägel bohren sich in meine Wangen 
Pssst, durch die Hände spricht man nicht

Heute denk ich 
Hätte ich im Hochstuhl gewusst 
Morgen fehlt dir deine Stimme 
Dann hätte ich geschrien.

klarapfel werden

Tara Pfrunder
1999

I. 
heiße tannenspitzen gegen husten, 
kalte küchenfliesen gegen bauchweh 
für die liebe ein flaschendreh, 
wie schwierig kann es sein? 
weiterrennen
                                                        weitergehen! 
und im ernteherbst merken, dass nichts mehr ging. 
die weißen blusen sind beim waschen eingegangen. 
betriebsfehler.

nachts filme in zeitlupe schauen, der unterschied unklar 
zwischen fang-mich-doch und marathon. 
was geschah, wenn das spiel vorbei war? 
vor 150 jahren hat eine kinderhand maschinenölbefleckt zugeschlagen. 
und ob ich jetzt fänger bin, kann ich nicht sagen.

II. 
apfel werden heißt anders rollen. 
wenn man gepflückt ist, so gibt es nur noch scharfe kanten 
und die angst, früh daran den saft verlieren zu sollen. 
jedes jahr die felsen bei malta, so steil, so steil 
nie mehr reiße ich daran das knie auf, bleibe heil, 
nie mehr wie früher geblutet.

aufwachsen ist nicht schwer, 
bei der schiffahrt vorbei an der unbewohnten insel 
hast du mir den bauch gehalten, 
ich ziehe ihn zurück. 
jetzt und danach auch.

mit dem dunklen leben, ohne nachtischlampe, 
die fragen stellen, ohne antwort 
die liebe, kein zauberwort, 
wie schwierig kann es sein? 
weitergerannt 
                                                       hiergewesen!

und diesen frühling merken, wie weit es war. 
die weißen blätter ein wortstamm zum dasein. 
sprache

III. 
irgendwo in den linien des apfelbaums 
hast du aufgeleuchtet 
ob schwarz oder golden, 
ich habe dich um die hand gebunden und still getragen.

erinnerung entschlüsseln

Lena Riemer
2002

Ⅰ 

schon als säugling scheinbar älter selbst als meine erzeuger. 

all die erbgütigen informationen erhalten nur die emotion auf einem mutierten Chromosom und so entartet im genetischen code. später ein lyrisches ich geklont um nicht länger zu unterdrücken.

Ⅱ 

schon als kind scheinbar rauer selbst als die ziegelsteine meines elternhauses.

während mein schatten auf beton aufschlug und die straße bebte kosten die eltern eine unsichtbare prinzessin die sich in pupillen nicht spiegelte. verwirrt durch fremdwahrnehmung weil doch auf meinen kinderwangen wahrlich keine royale würde lag.

Ⅲ 

schon als jugendliche scheinbar sinnestaumelnder selbst als die alkoholiker.

worte aus dem wind gepflückt über papier ausgepresst und trotzdem nach dem ort gesucht wo sie höher dosierten als in der vorstadt. mit 16 endlich ins theater gezogen einfach im sitz eingerollt und mir aus eintrittskarten ein nest gebaut.

Ⅳ 

schon heute müder selbst als meine ganze generation.

kratze mir die bilder aus der netzhaut klappe mir den frontallappen über die augen um mich endlich um frieden zu betrügen. krieg und toilettenpapier kleben unter den fingernägeln und ich sollte mir die hände waschen gehen.

Ⅴ 

jetzt.

in diesem raum nur nacht und fünf millimeter falsches licht durch den türspalt eingeschleust. fenster geöffnet und plötzlich eine fallender stern der meine augen so warmfeucht färbt. diese welt gewährt wohl doch noch wünsche.

sonnenumwandelt

Nora Schalkers
2004

damals wollte ich steinesammlerin werden. 
über felder streifend sammelte ich all 
ihre mineralischen melodien jede 
aus vollkommenerem lachen verdichtet, 
das ich fing

damals, die hände gelb von löwenzahn, 
war die welt groß und 
der regenbogen 
unendlich.

doch wenn ich jetzt traumschatten 
einfange, mittagsstille, magnolienhaarspray 
der geruch der regentonne, barfuß 
(ein versuch wars wert)

sehe ich nichts als salzverkrustete 
träume, andeutungen von lachen aus 
unendlichen gelben erschrumpfend, 
überreife supernovae, amorph, 
goldversprenkelte illusionen

implodierend.

verwanderte sommer sich durch alte 
staubschichten hindurchkämpfen, wundersame 
schimmel zitierend, pilzgerüchig doch blind 
staub: der schnee der jahre 
flusenweiche schneeballschlachten

aus abgestorbenen hautzellen, 
haare, 
hier und da 
unterm bett.

ich bin dabei meinen rost abzukratzen, wenn ich 
meine hand lecke schmecke ich eisenzaun

und immer wandeltrunken träume 
ich dort am schattensaum 
traumtrüb, sich nadelnder 
niederschlag im reagenzglas: AgBr 
ich singe immer in kristallen.

ich gebe mein bestes doch 
meine alten tiefen werden 
seichter und meine fernen 
erreichbarer.

also singe ich hier, frustriert, 
und ich hätte gern 
sturmwellendröhnen 
gegen das ich anschreien könnte.

aber da sind nur bäume, 
die nagen am blau des himmels.

das netz der spinne am 
dachfenster ist klöppelspitze 
an der wäscheleine, hoffnung 
ist manchmal undankbar aber 
in keinem fall

unerreichbar.

ich gehe weiter, immer weiter. 
tränenden traumhülsen zum trotz. 
schon damals immer noch ein kind und 
auch heute

irgendwie.

ich gehe, 
gehe am schattensaum 
der hauswand. 
den die spatzen lügen strafen.

sonnenumwandelt.

Fenster

Sven Spaltner
2000

Mohntage, diese warmen, warnenden Stunden, schlaftrunken morgens mit roten Haaren auf dem Kopfkissenbezug. Allzeit alarmbereit. Der Wecker: Ein Schrei im Dosentelefon. Das Erwachen: Eine Sturzgeburt im Stillen. Die Gardinen: Schallmauern für Sonnenstrahlen. Dem Tag wird der Vorhang zum Verhängnis. Mein Zimmerfenster trägt ein Kopftuch, die ganze Welt einen Brautschleier. Unter der Bettdecke kriechen Finger hervor, Blätter von Mimosen. Vorsicht, alles ist nun bewachsen mit Brennnesseln, alle Menschen nun Ruinen mit Härchen. Ich bin wieder ein Kind auf Krücken geblieben, ein verwurzeltes, verwildertes, verkrüppeltes Wesen, hinters Fenster gerückt, kommuniziere durch das Öffnen und Schließen der Jalousien, das Einfärben einer Fläche im Mondriangemälde der Hausfassade. Habe Hektik gegen Haptik getauscht, der Tag ein unfassbares Gebilde mit zwei Enden, an welchen ich es zwischen meinen Händen aufspannen kann. Da war die Sonne schon ein ausgekühltes Hackbällchen geworden, kalte Küche im Garten. Wohin sollen die verordneten Spaziergänge jetzt führen? Schweren Schrittes vermitteln zwischen der Information des Türspions und dem Kühlschrankinhalt. Werde neidisch auf die Balkonpflanzen und ihre Fähigkeit zur Photosynthese, färbe und fülle die Gliedmaßen mit Chlorophyll. Licht atmen, hier vom Fenster aus, in dem die Aussicht langsam zur Rücksicht wird. Das Brechen von Strahlen und Standbeinen beobachten – Habe wieder so viele Knochen wie als Kind. Sehe die Menschen aus der Ferne hinter Milchglas wie Röntgenaufnahmen. Sehe die blauen Raublattgewächse im Garten: Selbst das Vergissmeinnicht tragen Mundschutz. Verstecken ihr Lächeln, aber nicht ihr schlechtes Gedächtnis.

Als Favoriten hat die Jury Gedichte von Lea Eisenhuth, Ruta Dreyer, Tara Pfrunder, Lena Riemer, Nora Schalkers und Sven Spaltner gewählt, herzlichen Glückwunsch!

Schreibe, um zu träumen.