Unsere Gewinner*innen im August 2021

Wettbewerb im August 2021

Die Monatsgewinner*innen zu unserem August-Thema „wie meere magnetisch“ stehen fest! Wir gratulieren Ruta Dreyer, Rosa Engelhardt, Jamal Lkhaouni, Rosa Lobejäger, Ronja Lobner und Sarah Stemper! Inspiriert wurde das Thema von einem Gedicht der Lyrikerin Andra Schwarz, aus dem wir die Zeile „wie meere magnetisch“ ausgewählt haben. In euren Texten sollte es um Anziehungskraft gehen, um erdachte Räume und Landschaften, um das Unausgesprochene, das doch offensichtlich ist. Erreicht haben uns zahlreiche beeindruckende Texte, die zum einen das Wortfeld Meer aufgegriffen haben („wenn der mondfisch aufgeht, leg ich mich / in seinen backen schlafen, kraul anemonen im / licht der anglerfischlaternen, stell mir schalen / ohne leben vor, lausche den triolen deiner herzen“) und zum anderen oft mit dem Bild der magnetischen Anziehung und Abstoßung gespielt haben („seit dem tag an dem ich fast in dir ertrunken bin sind wir nur noch selten magneten“ oder „andere schaffens / in achtzig tagen um die welt /und die acht kilometer zu dir / könnt ich mittlerweile nicht mal mehr in achtzig jahren gehen“). Wir wünschen viel Spaß beim Lesen der vollständigen Gewinner*innen-Texte!

Als ich aufwache ist diese Welt eine andere

Ruta Dreyer
2002

Durch meine Hände fließt Brei
In fünfzig Cent Stücken zerrinnen die Fassaden heiliger Häuser
Spucke in den Gulli das Abfallen meiner Gliedmaßen
Ich werde ein Teil der Kanalisation so wie ich es schon immer wollte
Hallo Welt das bin ich
In Wogen werde ich Teil der Anziehung
Durch die Beine ungeborener Kinder hindurch
An was ich denke: die Geschichten von Raufasertapeten
Die Perspektive aus dem zweiten Stock einer Villa die niemandem gefällt
Die Perspektive heißt Perspektivlosigkeit
Denkst du auch manchmal an verstorbene Choleriker?
Das ist Cloud Rap
Das ist Psilocybin
Das ist Sucht

In der Kanalisation ist es gemütlich
Das Wasser platscht sachte
es riecht: nach Moschusblumen
nach Heimat
und nach Frieden
Hallo halbe Welt
Durch die Ohnmacht des Kopfes dissoziieren Gegebenheiten
Der zweite Stock reicht nicht aus
Erst ab dem vierten Stock lässt sich sagen:
Hier ist Oben von hier sieht alles kleiner aus
ALLES IST SO WIE IN EINEM SPIEL usw

Alles ist so wie in einem Spiel
Zählst du die Autos vor allem die die rückwärts fahren?
Ich summe
Heimlich
Zoome heraus hinein bleibe liegen im seichten Gewässer
Wir wissen alle dass es auch anders sein könnte
Sagen wir immer
Es gibt drei Sparten durch die wir die Welt verändern können:
Cloud Rap
Psilocybin
Sucht

 

an oktopoden

Rosa Engelhardt
2001

du hast deine ohrmuschel verloren, ich tauch
um deinem blut zu lauschen, diese symphonie
in himmelsfarben. eine raumkostprobe ohne
sterne, ich walz schwerelos mit cephalopoden
unter tsunamidecken, unter finnen. die haut
ein seifenfilm, wie mit blasen überzogen, eine
spitze, keine finger, lauge schmecken, du vertastet
dich. wenn der mondfisch aufgeht, leg ich mich
in seinen backen schlafen, kraul anemonen im
licht der anglerfischlaternen, stell mir schalen
ohne leben vor, lausche den triolen deiner herzen

Strandspaziergang, 3 Millionen

Jamal Lkhaouni
2001

Weltreisen in – Geschirrspülbiotop – Fusselballensteppengras – Fettfleckfenstergalerie – Dreckwäschalpenzug

Ich trug des Kaisers neues Kleid
und strich in meinem Reich umher.
Wie wenn ein Kopf an einem Berg zerschellt
und hinter tausend Stäben keine Welt

 – – –
mir schwimmt das Meer im Kopf
und tritt mir durch die Augen
. an die Luft
. hinaus
– – –

Türpfosten gebären telepathische Wesen; staubsaugertangotanzende tentakelarmige Tagnachtgestalten in die Welt

In der Luft liegt detonierter Olymp
liegt auf den Straßen, Feldern, Wiesen, Wäldern
liegt auf der Luft, detonierter Olymp

– – –
mir schwimmt das Meer im Kopf
und tritt mir durch die Augen
. an die Luft
. hinaus
– – –

Wir armen Geborenen
stehen, 3 Millionen,

lauschen
seichte Brise in der Ferne

lauschen
Schaum-Orakel

lauschen

 

. es ist anders

 

von dem tag, an dem ich (fast) in dir ertrunken bin

Rosa Lobejäger
2003

du öffnest deine arme und deinen schoß so weit dass mein kopf in deine gezeiten fällt

ich bin immer gerne getaucht in dir. deine haut und deine haare haben salzig geschmeckt ich habe dir das quecksilber vom bauchnabel geleckt ich habe mich versteckt in deinen riffen deine moleküle bestaunt die landschaften in dir sind

hügelig, dunkelblau und weit da sind berge und seen von denen quecksilber tropft ein gletscher der schmilzt wenn du mich küsst ein meer aus molekülen ein riff voller sirenen die mich zu sich ziehen ich habe

perlmutt gefunden in deiner dunkelheit als ich tief genug getaucht bin in dir ich bin mit angewinkelten knien in deinen tiefsten gräben liegen geblieben und habe die schönheit deiner höhlen bestaunt

als der sog meinen blassen körper immer weiter nach unten zog da wusste ich du bist bodenlos

zuerst wurde ich taub dann blind du hast meine äderchen platzen lassen treibsand statt luft in meine lungen gepumpt ich hatte muscheln und geröll im mund meine migräne hat gegen deine steine geschlagen du hättest mich fast verschlungen ich hätte mich fast losgelassen in deinen fluten

seit dem tag an dem ich fast in dir ertrunken bin sind wir nur noch selten magneten

als könnte ich dort das sprechen lernen

Ronja Lobner
2002

; und kuhlen schlagen auf den körpern, sich selbst hinterlassen
; und ein kuss ist mundraub der die stimme stiehlt
; und eine partizipationsmöglichkeit wenn du dich in meine haut quälst
oder in die massen dazwischen

risse, überall auf unserer haut vom patriarchat vernarbte einsfünfzigkörper,
taumelnd, auf den festen linien, die manifestation zwischen annahme und privileg
wir sprechen deine sprache, du hast sie uns übergestülpt,
bist in uns gekrochen
hast uns nach und nach von innen ausgehöhlt, viel zu leer für menschlichkeit
aber wir dankbar 
dass du uns jetzt mit dir befüllst

alle stimmen, die du jemals besessen hast, 
die schwingen jetzt in deiner kehle, aber du schneidest dich nie,
unsere stimmen sind nicht scharf,  
du hast die kanten abgestumpft und dich dann auch
manifestiert in den bändern,
an denen du uns aufhängen kannst – an denen du das tust,
fädelst die fäden durch die hautschichten, stülp dich uns über,
dann kannst du dich an uns binden –
und du bindest uns an dich –
; wir sind stumme frauen, die sich entscheiden müssen zwischen atmen oder sprechen
; unsere bedürfnisse oder das, was du für unsere hältst
; wie du in uns zerrinnst, wie du aufprallst, uns verformst, wie du
uns für ein treiben hältst, das deiner unterhaltung dient
; ungesagtes, das von der oberlippe tropft
; und der schrei prallt ab jetzt sind wir beulen

du drückst meine lippen in deinen schoß,
als könnte ich dort das sprechen lernen

durstend im emotionsmeer ertrinken

Sarah Stemper
2001

du ziehst mich an und
aus
dem nichts flutet nacktheit meinen charakter ebbt emotionsmark
frei
liegen jetzt menschen zu denen einst sehnen gewachsen
die haare zwischen narben
stellen sich auf
spröder haut schmatzt schlonzt schweiß
schmeckt sinnlich
auf lügenabgenutzten geschmacksknospen schmiegen sich
keine landkartenzungen zeigen den weg

doch fass mich nicht so fest
ein fremder hat mein herz graffitibeschmiert
noch muss es sich trockenatmen
vor der nächsten schicht farbe maske

nähst versprechen in meine wirbelsäule von schlaflosen nächten
gewölbt
meine augenlinsen
sie brechen dich zum falschen zeitpunkt
drückst du jetzt desillusionierende ehrlichkeit auf meine schultern
und die schwerkraft was schon längst im fall gewesen

bitte fass mich nicht so fest
du verschreckst die silberfische
in meinen herzkammern fressen sie dunkelheit weg
für die nächste schicht farbe maske

du ziehst mich aus und
an
deinen fersen kleben lasten die ich auf dich
geladen
mit abbauenzymen zitternd
und an deinen speichelfäden hängen wortlosigkeitsfasern  
f    u    n    k    s    t    i    l    l    e   

andere schaffens
in achtzig tagen um die welt
und die acht kilometer zu dir
könnt ich mittlerweile nicht mal mehr in achtzig jahren gehen

Schreibe, um zu träumen.