Unsere Gewinner*innen im Februar 2022

Wettbewerb im Februar 2022

ein Mensch / bin ich gewesen / behandel mich so / und ich glaub wieder dran.

Was genau ist Alltagsrassismus? Wie können wir ihm begegnen? Welche Erfahrungen mussten wir damit machen? Das wollten wir von euch im Februar zum Thema „als hättest du es dir eben ausgedacht“ wissen. Als Anregung für euer eigenes Schreiben haben wir euch das Gedicht „im juni brennen die felder“ der Lyrikerin Ronya Othmann und das Projekt #wasihrnichtseht von Dominik Lucha vorgestellt.

Wir bedanken uns sehr für all eure Einsendungen zu diesem Thema sowie für den Einblick in eure Gefühls- und Erlebniswelten! Den von der Jury ausgewählten sechs Gewinner*innen in der Altersgruppe 15 – 20 gratulieren wir herzlich und stellen euch im Folgenden ihre Texte vor! Herzlichen Glückwunsch, Rosa Engelhardt, Rosa Lobejäger, Charlotte Pöhler, Michelle Schreiber, Luca Wetterau und Desiree von Thenen!

impuls

Rosa Engelhardt
2001

als würdest du deine fingerspitzen von alleine einfahren
um nicht mehr berühren zu müssen

als wüssten deine hände von alleine wohin
um sich aneinander festzuhalten

als würde dein blick von alleine den boden suchen
weil er nicht mehr weiß wo oben und unten ist

als würde dein rücken sich von alleine krümmen
um deinen körper abzuschirmen

als würde sich dein körper von alleine falten
um so wenig raum wie möglich einzunehmen

als würdest du

als würdest du von alleine schweigen

aprilschnee (wunden)

Rosa Lobejäger
2003

i.

verlassener süden der apathisch küsst gänge schlagen durch alben wie durch kriegsgebiet angefochtener aprilschnee blutiges fieber die stirn an plattenbauten kühlen wo sie

den finger in die wunde legen 
immer
brandnarben säen
an haaren ziehen
springerstiefel polieren

du bist verloren gegangen in grenzgebieten, sagen sie
– verlassener süden der apathisch küsst gänge schlagen durch alben wie durch kriegsgebiet angefochtener aprilschnee blutiges fieber
die stirn an plattenbauten kühlen  – bestehst nur noch aus sedimenten die sich ablagern zwischen zähnen schlamm der kleben bleibt

ii.

sprengsätze die aus augen schießen sich den kopf rasieren springerstiefel polieren salutieren vor manifesten von heimat sprechen als bedeute es von der maas bis an die memel
hanau halle kassel in scherben netzhäute und herzkammern in fetzen

blumen wie blasse vokale die mahnen sollen
heiße spuren von diplomatischem serotonin konzentriert in
flimmernden minenfeldern
totengräber die in
gedärmen wühlen
zwischen kiosk und kneipe reißen sie leiber auf kratzen schorf von wunden
ab; blutbad
tränengas
zeigt die narben der taliban
zeigt die tage
die euch paralysiert haben

luftlinien zerrissen
kanonen gefüttert mit
worthülsen die
wasserleichen hinter sich herziehen
die angst vor dem zehnten weltkrieg europas devise:
brustkörbe zuschnüren
öl ins feuer gießen

 

iii.

wir rennen keiner fragt wohin. rojava brennt keiner fragt was die flammen schon verschluckt haben ein kind das um sich schlägt ein kind das wimmert in einem grenzgebiet ein kind 
gebettet in raubkunst im nil

verlassener süden der apathisch küsst gänge schlagen durch alben wie durch kriegsgebiet  blutiges fieber die stirn in furchen legen an plattenbauten kühlen im aprilschnee

Eimer voller Wutpigmente

Charlotte Pöhler
2002

In meiner warmweichen Hand
ein schwerwiegender Pinsel.
Gespannte Nackenlinie
und ein stirnschmückendes Rinnsal.
Für einen Mindestlohn steige ich auf
in die Höhen dicker Luft.
Schallend repetiert sich euer rasselndes Röcheln
Ein Lachen des feinsten,
Balance auf meinem Würd(/g)egrad
und ein Schuss in meine Breiten.
Besser sei ich als andere
Schwarzarbeiter
– im Streichen –
und Gehalt
hat eure Verachtung
sich gefunden – suchen werde ich immer noch
zwischen den Gräben unserer Leisten.
So habt ihr gelacht. Bin ich in euer Lachen ein-
gestimmt hat es nicht
– weh – getan?
Bestarrt, beleuchtet, beurteilt
habt ihr den Gliederhaufen,
den unser dunkler Schatten
voran schiebt, von sich drückt
Jenes ach so wertlose Gebilde
verzehrt es derzeit
nach krampfhaftem Husten,
einem physisch lokalisierbaren Schmerz.
Tiefer Blick in sterilweiße Dosen
beim Brechen kratzt eine dreifache Terz
in meiner Brust –
Das Schlucken starker Substanzen
soll sozialstaatsgesicherte Linderung versprechen.
Wann versprichst du mir
das Ruhen deiner arbeitsmeidenden Zunge?

Routine kann tödlich sein,
doch meine Farbe hat noch nicht gelebt.
Rote Schmerzen tropfen aus einem Bein,
das die Wucht von Jahrhunderten trägt.
Meine Sohlen schleppen mich von rauen Wänden
zu glatten Tapeten
von abklebepflichtigem Laminat
zu Dachleisten und Schrägen
wirfst du mir
entgegen
aller Umstände meiner Arbeit.
Ich streiche erneut über dein Versäumnis.
Missverstanden hätte ich die Zusammensetzung deiner echoreichen Mauer.
Nochmal betrachten, verstehen, behandeln
läge in meiner Verantwortung
oder in deinem Willen
und ich führe eine alltägliche Dienstleistung
– aus –
gemalt habe ich mir das noch nie
auf diese
weise(n) kann man sich
verlassen
wird der Raum gestrichen
– voll ist meine Toleranzgrenze
mein Eimer voller Wutpigmente.


Und eines Abends steht er
auf einem U-Bahn Gleis
du hast noch eine Wahl
Reich mir deine Hand
und wir gefrieren das Gesagte zu Eis.
In meinem Unverständnis
kann ich nachvollziehen
wofür du noch keinen Auftrag gegeben hast,
die Kälte, Permanenz und Konstante der Bedrohung
bloß vermeintlich Harmloses… worüber du lachst
ist eine autobiografisch geteilte Diskussion.
Lass mich die Pigmente wählen,
lass mich streichen,
Flecken quälen
wo neues gemalt, gestaltet, vergessen
werden muss
jeder irgendwann

ein Mensch

bin ich gewesen
behandel mich so
und ich glaub wieder dran.

grob vernäht & ausgehöhlt

Michelle Schreiber
2002

deine trauerränder verraten dich
unter deine netzhaut sind die bilder getackert
die welt zerspringt, du willst sie
an einen haken hängen und die last
von deinen lungenflügeln lösen

ich will dir deine schulterblätter
ausstreichen, mit fingerspitzen aus seide
will ich über deine wimpernkränze fahren
aus deinen pupillen das licht extrahieren

deine herzkammern überschlagen sich
deine alveolen bersten
grob vernäht geben sie dich zurück
ausgehöhlt die einschusslöcher

unter meinen fingern kühl der trauerrand
die bänder schreiend gespannt, fremde
stimmlippen legen sich tastend an meine

Reduziert – (Porjamos im Angebot)

Luca Wetterau
2002

GrillfleischSoßenUniversen
Tun sich vor
Mir auf während
SpätnachmittagsKaltKathoden
Perfides Licht in
Das Supermarktregal werfen vor
Dem ich stehe oder es vor mir


EinkaufslistenGlutamatGesichter
Quietschen nicht begegnend
Vorbei als Es
Sich neonschwarz in
Meinen Pupillen verheddert
Und GroßvaterVaterSchnitzelAnekdoten
Hinter Stirnfalten erwachen

Und ich frage mich ob nur
Ich mich frage ob die
HinterVakuumGlasPaprikaAromen
Geweint hätten
Wenn meine Augen jetzt
Ihre wären vor ihnen
Dieses erste Wort mit dem
Letzten Buchstaben am Anfang

Euer Opa ?

Und ich sehe mich
Um mich sehe ich nur

DreiviertelBitterSchokoladenLächeln
Niemand bemerkt Es als
Hätte ich es mir eben ausgedacht
Ein Schrei ohne Ohren das
Universum ist ein
Unendliches Kind

Eurer Opa ? Europa?

Meine Mama

Desiree von Thenen
2001

Blinzeln
Hinschauen
Noch einmal
Augenkontakt
Gaffen, starren, glotzen
Nur ein augenblick
Für euch
Doch für uns
So viel mehr
Synthetisieren auf eurer netzhaut
Zu etwas bedrohlichem
– Ich greife deine hand.

Immer wieder
September, november
Wieder und wieder
Oktober, dezember
Jedes mal das selbe
Blicke, worte, berührungen
Sichtbar für euer urteil
Doch eigentlich bleiben WIR unsichtbar
Worte
Fetzen
Wortfetzen
– Ich drücke fester zu.

Laut
Immer lauter
Sie wollen glauben
Dass du ihre sprache
Besser verstehst, wenn sie schreien
Dabei verstehen sie selbst nicht
Denn wer versteht eine sprache
Voller ablehnung, bedrohung und hass
Jedes mal aufs neue
Höre ich im vorbeigehen tuscheln
Das arme kind, höre ich nuscheln
– Dabei halte ich doch nur die hand meiner Mama…

Schreibe, um zu träumen.