Unsere Gewinner*innen im August 2022

Wettbewerb im August 2022

Das mnesichlche Gehrin ist in der Lgae, / Fehelr in der Realtiät zu behbeen, / Slnoage sie klein gneug sind.

Manche Dinge kann man einfach nicht ändern – und das zu ertragen, kann schwierig sein. Wie geht ihr damit um, wenn ihr etwas „einfach hinnehmen“ müsst? Wie lässt sich, wenn sich an der Situation nichts drehen lässt, vielleicht der eigene Blick darauf verändern? Oder muss man manchmal vielleicht einfach darüber reden – oder schreiben? Diese Fragen stellten wir euch im August und zeigten euch das Gedicht „Zum Beispiel“ von Elke Erb, in dem eine knallgrüne Kachel im Zentrum steht – die sich nicht ändern ließ und nicht ändern lässt, „eingesetzt sitzt sie fest“. Überzeugt haben die Jury zu diesem Thema die Gedichte von Jakob Buurman, Amelia Schober, Thea Aimée Tekumé Steimer Thorson, Sarah Stemper, Lotti Spieler und Nell Weidner. Wir gratulieren euch herzlich zum Monatsgewinn im August 2022!

TFNRSCH

Jakob Buurmann
2004

Das mnesichlche Gehrin ist in der Lgae,
Fehelr in der Realtiät zu behbeen,
Slnoage sie klein gneug sind.

Gbit man mir kein Essen, üebrlebe ich ncoh sechizg Tage,
Ohne Waessr snid es drei.
Wrfit man mcih in tifee Ströme,
Wrede ich high,
Vom Renenn acuh,
Kruz bveor ich erfriree, wrid mir noachml wram.
So sechnll ghee ich nciht kaptut,
Kein gläesernr Mnesch, kenie Ppupe aus Porzllean –

Dcoh
Der fein gestezte Samen kann ihn spreengn:
Den Aasphlt mneier Selee,
Ein Trpfoen kann sie löcshen:
Die Wräme menies Herznes,
Ein enzielenr Stein knan sie auslöesn:
Die Lawnie menies Zrons

Für mnaechs gibt
Es im Gehrin kneie
Auotokerrktur:
Üebr mncahe Klüfte psast kein Pflaestr mher,
Üebr mnache Mauer rceiht kneie Leiter,
Üebr mnachen See kneie Brücke

Und manchaml lässt scih ein eienzigs Mal
Nie wideer gut maechn.

Denkrichtungen

Amelia Schober
2007

Ich lasse los, was ich nicht ändern kann.
Los lasse ich, was ich nicht ändern kann.
Lasse ich los, was ich nicht ändern kann.
Was ich nicht ändern kann, lasse ich los.
Was nicht ich ändern kann, ich lasse los.
Was kann ich nicht ändern, los lasse ich.
Kann nicht ich ändern, was lasse ich los.
Kann ich nicht ändern, lasse ich was los.
Was ich nicht kann ändern, ich lasse los.
Was ich nicht kann ändern, lasse ich los.
Was ich kann ändern, lasse ich nicht los.
Ich kann was ändern, lasse ich nicht los.
Ich kann ändern, was ich nicht loslasse.

Technicolorado

Thea Aimée Tekumé Steimer Thorson
2001

rot wie granatapfelkerne 
die du in meinen mund stecktest 
orange gefärbte haare 
hingen über deiner schulter
deine graugrünbraunen augen 
verfolgten mein lLächeln 
technicolorado 

gelb wie die sonne 
die du an meine wand klebtest 
dein minion- kostüm
die bahn mit der wir fuhren 
du trugst tannengrünes kleid 
froschgrüne maske 
neonoarama 

blau das wal-emoji 
von deinen händen geformt
im ofen gebacken 
hellblauer wal allein im ofen 
jenseits des atlantiks 
brachen seine flossen
aurorade 

alle farben
hast du makiert 
ein glück schreib ich 
schwarz auf weiß 

schrittweise desillusionierung einer emanzipation

Sarah Stemper
2001

I: stehe an der ampel als mir wer blut aufdrängt 
schneller als die 150 km/h mit denen ich mir antrainiert hab zu reagieren
weißt du david ich bin eine frau
oder mensch
in dessen taufbecken schwamm eine angst die ich nie kennenlernen wollte
dumme goldfischschuppen glänzten auf meiner haut 

II: wasche meine blutigen krater mit rissigem scheinwerferlicht aus
spüle mit cola nach und schaue zu wie dermatologische geologie kristallisiert
und kindliche naivität brüchige buchten weichformt 

 II: es gibt dinge die man nicht ändern kann david
zum beispiel wenn du mit magerfaserigen haaren decken für den winter flechten willst 
wenn du unter tausend schwitzenden menschen deine rechte aus der seele schreist 
und deine worte in nachtfalter verwandelt werden
ich habe angst vor ihnen david
sie fliegen so unkoordiniert in die risse 

III: wechsele die perspektive sagst du david – in richtung nordpol
aber was wenn ich das nur um 35 grad in richtung nordpol kann 
sonst seh ich
inkompatibilität: ungerechtigkeit entreißt sich der farbfilterung

IV: oh gott david ich hätte dir gerne einen duden ins maul gestopft
denn david da ist wütende röte in deinen augen
sie brennt sich durch meine grenzen
stehe an der ampel und spüle mit cola nach
sehe: ampelrebellion

 

its okay to eat fish cause they don’t have any feelings

Lotti Spieler
2004

am bahnhof im park waren viele männer;
und ich direkt wieder,
der fisch in der kühltheke.
man pries mich an,
verhandelte,
begutachtete von unten nach oben meinen leib,
um sich auf einen preis zu einigen.

man fragte, ob ich schon reserviert war,
für einen anderen kunden,
ob man mich denn mitnehmen könnte, 
für heute nacht.

weil ich nicht reserviert war, 
packte der händler mich in fettpapier.
unter dem arm trug mich einer der männer,
und ich sah den anderen fischaugen nach,
wie sie mir leblos zuguckten.
wir waren ja eigentlich alle schon tot.

und als ich dann aufgeschnitten,
auf vier tellern lag,
noch heiß und triefend voll fett,
hatten sie mich wenigstens lang genug getötet.
dass sich die fFäule bereits ausgebreitet hatte,
in uns allen,
und uns bis auf die greten verdarb.

jene, die sich weitertrug, 
in die bäuche unsrer mörder,
und ihnen so sehr den magen verdarb,
dass sie den kleinen finger nicht noch einmal,
nach einem fischgericht gestreckt hätten.

istanbulʹs sommersprossen

Nell Weidner
2001

Meine Kinder wurden so schnell erwachsen,
jetzt möchte ich gerne Mutter werden,
und das in den nächsten paar Jahren.
Meine Kinder wurden so schnell erwachsen,
und das, obwohl ich noch keines von ihnen zur Welt gebracht habe.

Meine Kinder sind schon lange tot,
sie starben, als ich zur Welt kam.

Ich lebe auf dem Land,
bin aber in einer Großstadt aufgewachsen.

Viele Menschen betrachten den Ort,
in dem sie aufgewachsen sind,
als ihre Heimat.

Meine Heimat ist……ich weiß nicht wo.

Ich bin selbst noch ein Kind,
all der hungrigen Moneten,
all der stolzen Unterdrücker,
mein Garten blüht grün,
dort ist es immer sonnig,
und ewig Sommer,
meine Hände sind blutig,
ich schmecke nach Honig.

Eine Gabel hat sich in meinem Geschirrspüler verklemmt,
jetzt kann ich nicht mehr aufhören zu weinen.
Wer auch immer meinte, Depressionen seien romantisch,
hat offensichtlich noch nie in Betracht gezogen, sterben zu wollen,
(und das nur wegen eines verdreckten Küchenutensils, für 1,50 € gekauft bei Ikea).
Wer auch immer meint, Magersucht sei glanzvoll,
hat offensichtlich noch nie einen ganzen Nachmittag damit verbracht, Haferflocken zu zählen,
und sich danach die Stirn am Spülbecken blutig geschlagen,
weil diese Kontrolle jede einzelne Sekunde deiner Existenz bestimmt,
steht offensichtlich nicht 365 Tage im Jahr nachts um 1 Uhr 30 auf,
um 4 Stunden lang exzessiv Sport zu treiben.

Ich bin bereit, mich selber zu töten, anstelle meiner Kinder.
Das ist der Unterschied zwischen Poesie und Rhetorik.

Ich bin aufgewachsen, im Glauben gelassen,
dass jede meiner Sonnenseelengeschichten,
einzig eine Reflexion meiner überdimensionalen Fantasie ist.

Ihr sagt, nicht würdig eurer Realität.
Ich sage, nicht würdig eurer winzig kleinen Fantasie.

Der einzige Retter,
den du jemals finden wirst,
ist meine Sommergeschichtenpoesie,
meine Worte ziehen die Grenze zwischen Verehrung und Besessenheit.
Sie macht aus den Tälern, Berge und Lichtern Sommersprossen,
verteilt auf der Oberfläche von Istanbuls Gesicht,
gibt dem Rot, dem Weiß Wahrhaftigkeit,
macht aus dem Menschenverstand einen tiefblauen Ozean,
und aus dem Ozean puren Menschenverstand.

Du sagst, verzieh dich, Zimtkolibri.
Ich sage, lass los, Sonnenkönig.

Weil ich weiß, wir sind frei, Vollständigkeit.

Ich bin keine Frau aus Sonnenliebe gemacht,
keine zimtig-schmeckende Sorgfältigkeit.
Ich bin ein unvergesslicher Moment.
Meine Sommerhaut ist fort,
doch ich bin fortwährend.

Weil manche Erinnerungen dich niemals verlassen werden,
so wie das Salz im Meer,
ewig Teil von dir.

Du sagst, nicht würdig meiner Realität.
Ich sage, das ist deine eigene verdammte Reflexion.

Schreibe, um zu träumen.