Unsere Gewinner*innen im Mai 2023

Wettbewerb im Mai 2023

Im Mai haben wir euch aufgerufen, euch einen Gegenstand aus eurem Alltag zu suchen und ihm ein Gedicht zu widmen. Was passiert, wenn ihr etwas vermeintlich Alltägliches, Nebensächliches in den Mittelpunkt rückt? Verändert es eure Sicht auf diesen Gegenstand? Das wollten wir von euch wissen und haben euch zur weiteren Inspiration das Gedicht „teebeutel“ des Autors und Übersetzers Jan Wagners vorgestellt. Mit ihren Texten überzeugen konnten Meera Charlotte Bhagwati, S. Eslek, Enna Körner, Charlotte Pöhler, Fanny Walger und Valerie Zichy! Sie haben einen Garderobenhaken wiederentdeckt, die Bedeutungsschwere eines Rings beschrieben oder in den Mittelpunkt gestellt, was hinter dem Benutzen eines alltäglichen Hygieneartikels stehen kann. Herzlichen Glückwunsch den Gewinner*innen und vielen Dank an alle Einsendenden!

beim anblick eines wiederentdeckten garderobenhakens.

Meera Charlotte Bhagwati
2004

im zustand des ständigen wartens
hängst du
versteckt
nagel durch den hals gebohrt
mit eisernem bolzen
stolz verbogen –
in die richtige form gebracht.

gewölbt, nur leicht in den raum stechend
nicht mit deinem platz brechend
triffst du meinen blick
und zuckst nicht.
ein standhafter zinnsoldat.

man sieht dich erst,
wenn man dir eine last aufträgt
dich verhüllt
wie ein geheimnis,
das man hastig umhängt
bevor fremde einen blick erhaschen.

mit meinem finger ahme ich dein ganzes wesen nach
und lege mich über deine wölbung
hake mich ein und schaukle ein wenig.
du bleibst starr.

die tür hat vom ständigen auf und zu schlagen –
eine ausprägung der unentschlossenheit
die den türen eigen ist,
und türen halten es aus
niemals in dem einen oder
anderen zustand zu verweilen
niemals anzukommen und zu bleiben –
eine kerbe, auf augenhöhe.
kleiner zinnsoldat, prends garde
halt wache.

erst spät komme ich nach hause.
benommen lasse ich dann meinen
mantel zu boden fallen.

(du kennst mich nur von ein und ausgehen
komme ich denn niemals zur ruhe?)

im bauch eines fisches glänzt du
ordentlich
wie immer
umgeben vom chaos dieses heimes.

und eines tages bin ich krank geworden und jetzt sitze ich hier und bemitleide mich

S. Eslek
2003

wer weiß wie es angefangen hatte damals- mit einem vater mutter kind also, also als ich da war, ich glaube, das licht war gleißend damals. und jetzt also, das desinfektionsmittel, eine flasche 10€, hatten sie damals gesagt, also mein spritzenturm jetzt hier vor, und davor in mir, als ich gelernt habe, sie mir anzulegen, meinte die arzthelferin das. und dann hat sie die flasche aus dem großen Schrank genommen und mir zugesteckt, augenzwinkernd. seit ich ein vampir geworden bin ist alles besser. ein vampir sein ist schwierig. also neben der desinfektion eine flasche mit überlaufkanüle glaube ich, aber vielleicht habe ich das auch schon wieder vergessen, und ein bisschen schaum im absatz, er spiegelt sich lila und motorölfarben im synthetischen licht. seit ich ein synthetischer mensch bin, ist alles besser. 

drei von den spritzen habe ich nicht benutzt und nur geöffnet, ich hatte mich in den maßen geirrt. für 100ml lösungsmittel brauche ich sechseinhalb. davon werden mindestens 2 und höchstens 5 zu schaum. circa. 

wenn ich ein schaummensch wäre, wäre das schön. ich würde nur auf der badewanne schwappen und an haut kleben bleiben. ich würde schillern, aber nicht hässlich lila und motorölfarben, sondern ich glaube, ich wäre ein lieber schaum. ein goldiger vielleicht, und ein bisschen blau.

ein bisschen schaum mitspritzen wurde mir gesagt, wäre nicht schlimm, aber die luftblasen aus den kanülen kriegen haben sie mir trotzdem beigebracht. das kann ich gut. zuerst bildet sich eine große blase, wie eine seifenblase, und die schüttelst du ab in den mülleimer, und dann schiebst du den regler weiter hoch, bis das sekret fast die luft erreicht. dann hörst du auf. dann höre ich auf. wenn die vene anschwillt, habe ich danebengezielt. oder hindurch. ich weiß viele dinge. ich weiß nicht, wie es angefangen hat, oder was hinter dem spritzenturm wittert, oder wann ich ihn erklimmen kann, oder wann sich mein zuhause wieder wie zuhause anfühlt und nicht wie die sterilste müllhalde der welt. aber ich weiß, dass ich so sehr schillern will. bis in die tiefsten häute meines körpers. 

vielleicht bin ich die abgestreifte haut einer zikade, die im licht flimmert. die zikade ist entschlüpft und behüpft ihr leben. und ich schaue ihr hinterher. bewegungslos. aber so scheiße golden, dass dir die augen verbrennen. so wunderschön, dass du verglühst.

(___)

enna körner
2002

in der hintersten ecke des badezimmers, eine packung aus papier, nach scham rufend, sorgfältig, in ihr, aufgereiht (___)
ich greife hinein, sehe nicht hin, möchte es hinter mich bringen, schnell, gewaltsam,
ich löse das plastik, bedacht, ein handgriff.
ziehe das band
die baumwolle, sanft
(behalte es für dich)
ich schließe die tür des badezimmers

ich öffne sie
nun beginnt der wahre akt. es schmerzt, meine hände bewegen sich, sie kennen das, ein faden führt,
alles verkrampft
ich trete hinaus, lächle, blicke dir in die augen, doch du weißt nicht, wovon ich spreche
unbeugsam

Ringverlesung

Charlotte Pöhler
2002

Den habe ich von meiner Großmutter.
Sie hat den Track nicht überlebt.
Vertrieben, aber dieses Stück Silber,
geblieben – unversehrt.
Nimm ihn, er soll dich tragen.

Die Ewigkeit ist rund, sagen sie,
währt wie ein Kreislauf,
Veränderungen wiederholen sich nur
in einer anderen Form – Prägung

Sein Seidenpapier knittert zwischenzeitlich
aus deinen Ohren – ein Abgleich meiner Selbst.
Man hat mich in einer Bahre versteckt
und als du meine Hülle öffnetest,
zerfiel der Himmel in Sturzbäche
und sein Gesicht nur Abendrot in meinem Silber – pur.

In mir spiegelte sich dein Knien, die aufstrebende Hand,
das Taschentuch zwischen zitternden Fingern
Tonfrequenzen – auf mir ein Schallecho.
Abschlüsse, Familienfeste, das Handschütteln am Grab
zartes Handrauen über Hautflauten.
Mit mir hast du tanzen gelernt, was dich bewegt, treibt.
Taubenetztes Frühlingsgras, Seife etlicher Becken
im vollen Zug, in der Oper, bei den Eltern deines Ex –

Tage später:
dein Räuspern zittert über meine glatte Seite
Ja, ich will.
sagst du. Und noch ein wenig später
lässt du die Hand los, die dich hielt, die du ergriffen hattest,
um mein Ebenbild zu duplizieren
an den Fronten der Menschlichkeitsverletzung.
Dich ließ man zurück im Knacken der Backsteine,
dein Haushalten funktioniert nicht mehr
und du lässt jetzt Tag für Tag, Sekunde um Sekunde
zurück. Du lässt nur noch zurück. Noch. Wie soll das weiter?

Deckenbruch. Tag 168. Deine Nachbarin ist nicht mehr.
Nur ich an deinem Finger.
Wenn du morgens deine Schuhe lockerst, stör ich dich kurz.
Es ziept. Weil alles zu eng ist. Alles.
Du ziehst sie nicht mehr aus, wer weiß, wann du wieder rennen musst.
Trennung. War das einst etwa rar?
Ein Kreislauf scheint endlos, bis er einen Anfang findet.
Verändertes Dasein, Leben, Halten, Bersten.
Es gibt keine Sprache für Körperreißen,
nur den Schrei auf Lippen, die Glut in Augen.
Was mich dann noch kurz wärmte,
war nicht mehr deine Haut, noch die deiner Großmutter,
nur ein kleines Rinnsal, Flussflattern
Rot, wie das letzte Licht, Antlitz rauer Würde
lautlos, unertragbar
still

kreidezeit

Fanny Walger
2004

coccolithengrenzen zwischen überzeugungen
und präsens und wo wir einmal unterschiede
machten bleibt ein kreiderinnsal
eine linie nur gegen das licht

vergeblichkeiten,

silikon auf stahlemaille das undankbare
ruckeln des abziehers als übe er

vergeblichkeiten,

widerstand gegen die weißen tropfen
auf dem boden: dorthin trocknest du
dein dunkelgrünes spiegelbild (so lang)

vergeblichkeiten

die tür beinahe geschlossen, du zuckst:
etwas quietscht.

 

 

vielleicht rot

Valerie Zichy
2002

zwischen den händen ein nichts halten
weiter hasten, beinahe stolpernd
zerkauter atem zerbrechende luft
zähne verlieren, oder auch:
eine hoffnung

kirschkerne in den jackentaschen es
knirscht bei jedem schritt im mund zersplitternd
glas

stattdessen
im dazwischen nach anderen tasten
die leere zwischen den fingern still

vielleicht
einen faden finden, oder auch:
ein rot

Schreibe, um zu träumen.