jetzt / ein Steinzeit-Telegramm

DAYS HOURS, MINUTES, und  SECS
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Wettbewerb im März 2024

Zeitenwende, Krisenmodus, Corona-Pandemie, Wellenbrecher – diese Wörter wurden in den letzten Jahren zu „Wörtern des Jahres“ gekürt, weil sie die geführten gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Debatten besonders gut abgebildet haben sollen. Teilt ihr diese Einschätzung? Welche Wörter, Sätze oder Fragen machen unsere Gegenwart eurer Meinung nach aus? Wie und mit welchen Wörtern sprecht ihr über das, was aktuell eure Leben bestimmt? Sammelt Wörter, Sätze oder Fragen und schreibt uns diesen Monat ein „Jetztzeit-Gedicht“!

In diversen Abstimmungen und Jury-Verfahren werden in Deutschland jedes Jahr Wörter bestimmt, die in öffentlichen Diskussionen besonders häufig benutzt werden oder gerade im Trend zu sein scheinen. Neben dem oben vorgestellten „Wort des Jahres“ gibt es seit einigen Jahren auch das „Unwort des Jahres“ (aktuelles Unwort des Jahres 2023: „Remigration“) und das „Jugendwort des Jahres“. Gerade Letzteres sorgt dabei auch immer wieder für Lacher oder diverse Fragezeichen in den Augen vieler. 2023 standen zum Beispiel „auf Lock“, „Darf er so?“, „Digga(h)“, „Kerl*in“, „Rizz“ oder „Slay“ auf der Liste. Am Ende machte „goofy“ vor „Side eye“ und „NPC“ das Rennen. Benutzt ihr diese Wörter regelmäßig? Oder sind es vielleicht ganz andere Wörter, die in eurem Freundeskreis übermäßig häufig gesagt werden? Habt ihr vielleicht sogar eure ganz eigenen Wortkreationen?

Foto: IMAGO / Christian Ohde

Stellt euch vor, ihr solltet als Zeitzeug*innen für zukünftige Generationen festhalten, was die Sprache unserer Gegenwart ausmacht. Wie sprechen wir über die Themen unserer Zeit? Welche Wörter, Fragen oder Sätze hört und sagt ihr immer wieder? Als Inspiration möchten wir euch das Gedicht „Lärche“ der ungarischen Lyrikerin Ágnes Nemes-Nagy vorstellen, das ihr im Folgenden lesen könnt. Es beschreibt den titelgebenden Nadelbaum inmitten einer scheinbar zeitlosen, ewigen Umgebung, der uns, während er nach oben und in die Zukunft wächst, über seine Wurzeln tief aus der Erde ein Telegramm aus den Steinzeitschichten schickt.

Schickt uns im März eure Telegramme aus der Jetztzeit! Sammelt Sätze, Überschriften, Fragen oder Wörter, die unsere Gegenwart ausmachen. Bringt sie in eine Form, die euch gefällt, und kommentiert mit eigenen Gedanken dazu, falls ihr mögt. Gern könnt ihr euch auch ausdenken, wer euer Gedicht-Zeitzeugnis einmal finden wird. Wir sind gespannt auf eure Einsendungen und wünschen euch viel Spaß beim Dichten zum Thema „jetzt / ein Steinzeit-Telegramm“!

Lärche

Ágnes Nemes Nagy

Großer, gelber Himmel. Schwerer
Bergrücken lastet auf einer Wiese.
Reglos auf magnetischer Erde
Eisenspäne, dunkel, aus Gras.

Verirrte Lärche.
Summen. Kälte.
Summen: durch gewaltigen Stamm,
Lärchensäule von löchriger Rinde,
durch Schuppenwurzeln schießt jetzt
ein Steinzeit-Telegramm.

Unbekannter Vogel, hoch oben,
Vogel am Himmel – gerunzelt
die Augenbrauen ohne Gesicht –
dahinter verblasst schon das Licht,
die Augenlider fallen zu, Blindfenster –
ein Summen, durch das unsichtbare
schwarze Laub rauscht die Nacht,
die Wipfel zu Kohle gepresst,
ihr schwarzes Herz schnurrt auf.

aus: Ágnes Nemes Nagy, Mein Hirn: ein See.
Herausgegeben und aus dem Ungarischen übersetzt von Christian Filips und Orsolya Kalâsz,
roughbooks / Engeler Verlag, Schupfart 2022.

Weiterführende Informationen

Ágnes Nemes Nagy, Foto: Fortepan / Hunyady Joìzsef

Ágnes Nemes Nagy gilt als die bedeutendste ungarische Dichterin des 20. Jahrhunderts. Sie wurde 1922 in Budapest geboren, studierte dort Ungarisch, Latein und Kunstgeschichte und erwarb 1944 den Abschluss als Gymnasiallehrerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg und vor der kommunistischen Machtübernahme war sie Mitglied der intellektuellen Schriftstellergruppe „Újhold“ / „Neumond“, deren gleichnamige Zeitschrift später verboten wurde. 1946 erschien ihr erster Gedichtband Kettős világban / In einer doppelten Welt. 1948 wurde sie mit dem damals bedeutendsten Literaturpreis Ungarns, dem Baumgarten-Preis, ausgezeichnet. Während der stalinistischen Zeit erhielt sie von 1949 bis 1957 Publikationsverbot, sodass sie ihren zweiten Band Szárazvillám / Trockenblitz erst 1957 veröffentlichen konnte. Es folgten der Band Napfordulók / Sonnenwenden 1967 sowie poetologische Essays. Wenige Jahre nach ihrem Tod 1991, wurde sie für ihr Engagement gegen den Nationalsozialismus als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. 2021 wurde ein Asteroid nach ihr benannt. Ihr Leben und Werk werden bis heute als richtungsweisend wertgeschätzt.

Schreibe, um zu träumen.